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01.08.2014 20:28

Die 33-74-Prozent-Formel

Die kürzlich in den Vereinigten Staaten eingeführte E-Book-Flatrate Kindle Unlimited ist für Amazon ein weiteres Tool, die Preissensibilität der Konsumenten für elektronische Bücher zu erhöhen. Und damit auch Verlage aus dem Geschäft zu drängen.

Das Versprechen klingt nach einem literarischen Schlaraffenland: 600.000 Buchtitel, jederzeit verfügbar, immer auf dem Kindle, dem iPad, dem iPhone oder sonst einem Endgerät – und das alles für 9,99 US-Dollar im Monat. Die elektronische Leihbücherei, die der Onlinehändler Amazon im Juli in den Vereinigten Staaten aufgebaut hat, ist wohl der disruptivste Ansatz, den die Buchbranche seit langem erlebt hat. Weil er erstmals im Buchmarkt bietet, woran sich die Menschen in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens schon gewöhnt haben: Konsumieren, ohne zu besitzen; immer und überall.

Dem hat die Buchbranche, dem haben die Verlage nichts entgegen zu setzen; überrascht müssen sie feststellen, dass das philantrop geprägte Modell der Leihbücherei von einem Quasi-Monopolisten kommerialisiert wurde.

Verlage können freilich vorerst beruhigt sein: sie erhalten für E-Books, die über Kindle Unlimited ausgeliehen werden, den gleichen Anteil wie bei einem Kauf dieses E-Books. Dem Produkt Kindle Unlimited liegt daher eine Mischkalulation zugrunde, wie das bei Amazon so oft der Fall ist: wer viele E-Books ausleiht, wird für Amazon eher ein Verlustbringer sein.

Amazon kann das egal sein. Weil es mit dem Start von Kindle Unlimited dem E-Book-Geschäft insgesamt eine Richtung gibt, die der Schöpfung von Jeff Bezos noch mehr Marktmacht sichern und Verlage weiter in die Marginalisierung treibt und deren Kalkulation in Zukunft noch stärker zu wackeln beginnen wird, als das schon jetzt der Fall ist. Man muss sich schon ein wenig durch die virtuellen Keller der Amazon-Website graben, um einen recht entlarvenden Eintrag des Managements in einem Kindle-Forum zu entdecken.

Im Kern geht es bei diesem Posting um die Gründe für den schwelenden Streit zwischen Amazon und dem Verlagsriesen Hachette, wichtiger aber ist, was Amazon offen legt: die Marktanalysten des Onlineriesen haben nämlich ausgerechnet, dass ein E-Book, das zum Preis von 9,99 US-Dollar angeboten wird, um 74 Prozent mehr Leser finden wird als eines, das um 14,99 US-Dollar verkauft werden soll. Es ist die 33-74-Prozent-Formel: Ein 33 Prozent geringerer Preis verspricht jedenfalls nach Berechnungen von Amazon einen um 74 Prozent größeren Leserkreis. Amazon ist offensichtlich sehr daran gelegen, die preisliche Schmerzschwelle bei E-Book-Lesern zu senken.

Natürlich sind die Verlage nicht dagegen, mehr E-Books zu verkaufen, aber günstigere virtuell dargebrachte Werke passen eben nicht in ihre Kostenstruktur, ja ihr gesamtes Geschäftsmodell, und noch viel mehr müssen sie wohl den epidemischen Effekt billigerer E-Books auf die Preise für gedruckte Bücher fürchten.

Mit der Flatrate, die Amazon nun anbietet, wird sich der Preiskampf noch verschärfen und die Verlage werden darüber hinaus Gefahr laufen, jenes Glied in der Wertschöpfungskette zu sein, dessen Fehlen eben diese Kette auch nicht schwächer macht. Man muss als kleinen Vorgeschmack nur das Kleingedruckte für Self Publisher bei Kindle lesen: Autoren, die ihre Bücher über das Unlimited-Modell vertreiben möchten, dürfen ihre Werke nirgendwo sonst veröffentlichen. Das ist nur der Beginn eines Wettbewerbs um intellektuelles Kapital, den Amazon durchaus gewinnen kann.

Europäische Verlage dürfen indes auch schon mal beginnen, sich zu ängstigen: bei französischen Verlagen hat Amazon angeblich schon anfragen lassen wegen einer künftigen Zusammenarbeit zum Aufbau von Kindle Unlimited. Schon im Herbst, so heißt es gerüchtweise, soll Amazon auch in deutschsprachigen Ländern mit einem Unlimited-Test beginnen. Für Verlage, so viel ist absehbar, bedeutet Kindle Unlimited auch unlimitierte Probleme.

Martin Schwarz

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