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Grafikdesign

08.01.2014 10:39

Flächendeckende Ideen

Grafikdesigner und Illustratoren gehen die Wände hoch: Ihre Gestaltungen, Corporate Designs und Artworks machen den Schritt in den dreidimensionalen Raum, egal ob drinnen oder draußen.

Länge und Breite definieren das kreative Spielfeld für den Gestalter. Doch irgendwann spürt er den engen Rahmen, in den ihn die Grenzen der vordefinierten Drucksorten zwängen. Wo die Möglichkeiten für die einen an der Papierkante zu enden scheinen, gehen sie für die anderen dort erst los: Wenn schon Länge mal Breite, dann doch wenigstens extralang und extrabreit. Wie Wände, Mauern und Decken etwa, die einen Raum aufspannen, im Inneren der Häuser oder davor und zwischen ihnen. Grafikdesigner und Illustratoren wagen sich von den Kleinformaten, auf die sie ihre Ideen drucken lassen, in die nächste Dimension, in die dritte, in die räumliche. Dort haben die Designs und ihre Botschaften, die kommerziellen und künstlerischen, extra viel Platz, sich auszubreiten, auch in ihrer Wirkung.

Begehbare Marken

Früher waren ausschließlich die Architekten und Maurer, danach die Maler und Anstreicher sowie die Tapezierer für die Wände zuständig. Jetzt beginnen auch die Grafiker ihre tragende Rolle bei Bauwerken zu entdecken. Corporate Designs von Unternehmen, ihre unverwechselbaren Identitäten, überziehen als bedruckte Folien, Tapeten und Paneele längst die Architektur. Seitdem haben auch Marketing-Manager verstanden, sie als Kanal zu nutzen, um Markenbotschaften zu kommunizieren. Schon setzen Architekturbüros ganze Abteilungen darauf an, begehbare Marken zu bauen und Markenerlebnisse zu konstruieren – wie das Büro BEHF Architekten in Wien etwa, das von der Billa-Filiale, A1-Shops bis hin zu den Geschäftsstellen der Deutschen Bank Unternehmenswerte in den Raum übersetzt. Die vertikalen Flächen außerhalb der Markentempel erobert das kommerzielle Grafikdesign, indem es Gestaltungen und Werbebotschaften auf die Größe von gedruckten 24-Bogen-Plakatwänden, Megaboards und riesigen Baustellen-Planen aufbläst.

Kims Zeitungsschnipsel

Der Creativ Club Austria (CCA), der jährlich die kreativsten werblichen Gestaltungen prämiert, fasst neuerdings alles, was vertikal affichiert wird, in der Kategorie „Out of Home“ zusammen. Was sonst im Raum gestaltet wird, kann sich in der Rubrik „Ambient Design“ ein wenig Ehre und eine Auszeichnung verdienen. Dem Büro Liga Graphic Design gelang das mit der Gestaltung einer Decke im „Kim kocht“-Studio am Wiener Naschmarkt. Die grafische Grundlage dafür hatte die Inhaberin Sohyi Kim selbst geschaffen. Aus Asien hatte sie dutzende Zeitungsschnipsel und -ausschnitte zusammengetragen: japanische Illustrationen, thailändische Kreuzworträtsel, balinesische Reportagen, koreanische Zeitungskommentare. Liga Graphic Design verknüpfte diese Schnipseleien zu einer Collage und zu grafischen Strukturen, in denen verschiedenste asiatische Schriftzeichen ihre bildhafte Wirkung entfalten. Inzwischen, so berichtet Sohyi Kim, hinterlassen viele Gäste ihre eigenen Signaturen, auch der koreanische Botschafter hat die Collage schon mit seiner Unterschrift erweitert.

Tortengrafik

Die Grafikdesignerin Sabine Harm zeichnet ebenso nicht nur das optische Erscheinungsbild von Unternehmen mit, das so flach ist wie das Papier, auf dem es gedruckt wird, sondern auch visuelle Visitenkarten, die man betreten kann, die ganze Räume füllen und gleich einige Quadratmeter groß sind. Die Corporate Identity auf Papier wird plötzlich räumlich spürbar, etwa auch im Kundenbereich einer kleinen Backstube: In „Rita – The Cakery“ mischt die Inhaberin mit Vorliebe die englische und die österreichische Backtradition, geschmacklich und gestalterisch, für Hochzeiten und andere Anlässe. Für das Raumdesign im Erdgeschoss im 23. Wiener Bezirk hat die Gestalterin Sabine Harm auch die Welten vermischt: Barock und Moderne zerfließen zu einem Tapetenmuster, gezeichnet aus Mixern, Muffins, Tortenhebern und Schneebesen, die Harm zu grafischen Ornamenten abstrahierte. Und wenn die Kunden aus „Rita – The Cakery“ mit Tortenduft in der Nase nach Hause gehen, nehmen sie ein kleinformatiges Stück dieses grafischen Back-Universums mit – auf Folder und tatsächliche Visitenkarte gedruckt. Wie die Designerin selbst scheint sich auch die Einrichtung der „Cakery“ nicht entscheiden zu können. Lampen, Vasen, Bilderrahmen zeichnen sich als grafische Konturen an den Wänden ab, doch da ragen Teile, wie der Lampenschirm etwa, in die dreidimensionale Welt hinaus. Als hätte die zweidimensionale Welt die räumlichen Dinge zur Hälfte aufgesaugt.

Zwillinge des Zufalls

Auch die Illustratorin Nina Levett geht mit ihrem Artwork die Wände hoch. Ihre Entwürfe bringt sie mit Tusche zu Papier, scannt sie ein, vektorisiert sie auf dem Computer und verdichtet sie zu Mustern. „Es entstehen detailorientierte Gesamtkunstwerke, die Geschichten auf Tapeten und Wandpaneelen erzählen“, so Levett. Die Tapeten produziert sie selbst im Siebdruck und die ornamentalen Wandpaneele lässt sie in einer Tischlerei fertigen, in einer Lackiererei grundieren, dann bedrucken und wieder lackieren. Manche Projekte, sagt Levett, nehmen Monate in Anspruch, bevor sie Privatwohnungen, Geschäftslokale oder andere Räumlichkeiten auskleiden.

Ein paar Tage sind auch die Grafikdesignerinnen Julia und Christina Urschler beschäftigt, wenn sie mit dicken Edding-Stiften anrücken, um ihre Designs an die Wand zu bringen. Die Zwillingsschwestern sind auch gestalterisch unzertrennlich, die eine beginnt links, die andere rechts, die Muster und Ornamente zu zeichnen. „Und wenn uns gerade nichts mehr einfällt, dann tauschen wir die Seiten“, erzählt Christina Urschler. Die eine steht auf der Leiter, die andere liegt auf dem Boden, in der Mitte treffen sich die Muster, die einer gemeinsamen Stilidentität entspringen. Einem vorgefertigten Konzept folgen sie nicht. Die beiden sind menschliche Zufallsgeneratoren, ihre Arbeiten vielleicht deshalb so überraschend.

Gerade, wenn auch Typographie ins Spiel kommt, wenn sie etwa Andy-Warhol-Zitate an der Wand eines Juweliers verewigen, werden die Schwestern zu konzentrierten Wandtätowiererinnen. Denn nachbessern, orthographische Fehler etwa, kann man so gut wie nicht mehr. Auch in einer Galerie, am Garagentor eines Fitness-Studios und in verschiedenen Privatwohnungen haben sie ihre Zeichnungen schon hinterlassen. Tapetenmuster haben sie ebenfalls entworfen, Produzenten dafür suchen sie noch. Im Restaurant „Dots“ kehren die charakteristischen CI-Muster, gestaltet von den Urschler-Schwestern, auf verschiedensten Flächen wieder, als Tapete etwa, aber genauso auf der Speisekarte. Und natürlich auch auf der Website – die grafischen Welten haben die Designerinnen ohnehin noch nie so streng getrennt betrachtet. Sie arbeiten schließlich auch im Mode-Styling und Vasen oder Gläser tragen ebenfalls schon ihren charakteristischen Zeichenstrich.

Scheitern am Format

Die größte Hürde für klassische Grafikdesigner und Illustratoren beim Schritt in den Raum: Sie scheitern schlicht an der Größe, daran, ihre Ideen auch auf überdimensionale Formate zu übertragen, sagt Grafikdesigner und Illustrator Charlie Scheichenost: „Für große Flächen braucht man als Illustrator eben eine ganz andere Technik.“ Scheichenost hat sich sein eigenes Werkzeug für raumgreifende Illustrationen angeeignet, als er noch im Kollektiv „Lumpenpack“ in Salzburg in der Street-Art-Szene unterwegs war. In Wien ist er noch immer als „Muralist“ kreativ, vor allem dort, wo die Stadt Wien die Wandkunst haben will, am Donaukanal. „Mein Medium ist die Dose“, sagt er. Doch mit der Graffiti-Kultur habe das nichts zu tun. Scheichenost studiert Grafikdesign an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Und spannend findet er es, „welche Möglichkeiten Typographen und Grafikdesigner haben, ihre Ideen groß zu machen“. Das funktioniert eben auch mit der Farbe aus der Spraydose. Aber vor allem auch mit Leiter, Klebeband und Innendispersionsfarbe, mit der er Linien und grafische Strukturen durch ein ganzes Lokal zog: durch den Club „Auslage“ in Wien. Der sieht jetzt fast so aus, als hätte sich der Club-Flyer, den er auch gestaltet hat, in den dreidimensionalen Raum aufgefaltet.

Norbert Philipp

(4c Printausgabe 8/2013)

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