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Piktogramme

24.11.2015 12:42

“Es fehlt ein wenig an Neutralität”

Die Wiener Designagentur Buero Bauer hat in den letzten Wochen ein eigenes Piktogramm-System für Flüchtlinge entwickelt, das mittlerweile in vielen Unterkünften verwendet wird. Der Leipziger Designprofessor Rayan Abdullah hat sich das Werk angesehen.

Piktogramm-System für Flüchtlinge: Eine Idee der Designagentur Buero Bauer in Wien. © Beigestellt

Beim neuen Piktogramm-System aus Wien handelt es sich um ein modulares Schema aus Icons, Pfeilen und minimalem Text, das die Informationsbedürfnisse von Flüchtlingen ernst nehmen möchte und gleichzeitig eine Diskussionsfläche für Integration schaffen will. Es ist für den Gebrauch in Notunterkünften und Erstaufnahmezentren gedacht und soll auch die Helfer vor Ort entlasten. Der Leipziger Design-Professor hat sich das Design angesehen. Mehr über das Piktogramm-System lesen Sie in unserer Story.

„Die Idee ein Erste-Hilfe-Infosystem für Flüchtlinge zu entwickeln, finde ich sehr gut. Es gibt ganz offensichtlich Bedarf, den Menschen Orientierung zu geben und zwar in zweifacher Hinsicht: erstens ganz konkret vor Ort und zweitens als Mensch wahrgenommen und versorgt zu werden. Die neue Piktogrammgestaltung ist also ein wichtiger Beitrag zur gegenseitigen Verständigung im Zusammenhang mit einer der ersten Berührungspunkte in unseren Ländern und damit mit unserer Kultur.

Einige der Flüchtlinge sind noch nicht mit unserer Landessprache vertraut. Hinzu kommt, dass einige selbst in der eigenen Sprache noch Analphabeten sind.

Eine weitere Notwendigkeit der neuen Piktogramme ist der Tatsache geschuldet, dass viele der bereits existierenden Piktogramme bezugnehmend auf andere Kulturräume im Detail nicht adäquat ausgearbeitet sind.

Neu an dem System ist auch, dass einigen Piktogrammen Wörter teilweise sogar zweisprachig hinzugefügt sind. Innerhalb eines Piktogramms ist das eigentlich nur erlaubt, wenn der gewünschte Sachverhalt nicht mehr allein durch die Bildsprache verständlich gemacht werden kann. Denn ein Piktogramm verkraftet grundsätzlich keine zwei Sachverhalte gleichzeitig.

Semiotik spielt im Bereich der Piktogramme immer eine große Rolle. Hierunter wiederum fällt die Semantik, sie meint die Beziehung zu seiner Bedeutung. Die folgenden fünf Faktoren sind dabei wichtig: die Umgebung, das Wissen, die Kultur, die sozialen Umstände und die in Kombination stehenden Zeichen. Dabei geht es um einen Informationsaustausch zwischen Sender und Empfänger.

Von dem Empfänger wird in den Flüchtlingsunterkünften viel erwartet, weil er gleich beim ersten Lesen der Piktogramme für ihn teilweise neue Situationen deuten und verstehen muss. Die körperliche und geistige Verfassung des Betrachters tragen zum Verständnis bei. Nach den Strapazen der Reise sind die Ankommenden physisch erschöpft. Psychisch sollten sie unserer Kultur gegenüber offen eingestellt sein.

Die Piktogramme können helfen, Sprachbarrieren vorübergehend zu umgehen. Je nach Vorerfahrungen der einzelnen Empfänger können sie interpretiert und zur Orientierung genutzt werden.

Gerade beim Thema Raum ist Folgendes für die Piktogramme wichtig: Die äußeren Bedingungen müssen grundsätzlich stimmen, das heißt die Piktogramme müssen sinnvoll platziert sein: auf Augenhöhe, in guten Lichtverhältnissen, in angemessener Größe, auf guten Materialien und in ausreichender Anzahl. Nicht zuletzt muss die Leserichtung abgestimmt sein bei arabischstämmigen Empfängern.

Bei der grafischen Umsetzung fehlt es dem „Erste-Hilfe-Infosystem für Flüchtlinge“ teilweise etwas an Neutralität. Beispielsweise beim zeitunglesenden Mann anstelle einer zeitungslesenden Frau. Damit werden ein Stück weit auch Klischees bedient, was nicht notwendig ist. Man sollte bei der Gestaltung gleichzeitig das Erziehungspotenzial mitbedenken. Andererseits finde ich es gut, dass das System den Mond als Synonym für Erste Hilfe verwendet.“

Aufgezeichnet von Ann Kimminich.

Rayan Abdullah ist Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und Gründungsdekan an der Deutschen Universität in Kairo sowie Geschäftsführer der eigenen Agentur Markenbau. Als gebürtiger Iraker lebt er in Berlin und Leipzig und zählt zu den heutigen Experten der Corporate Identity, des Corporate Designs und der Markenbildung. Im Rahmen seiner Arbeit bei der Firma MetaDesign Berlin war er verantwortlich für die Marken Berliner Verkehrsbetriebe, Volkswagen, Bugatti und der Bundesregierung Deutschland. Hier verlieh er dem Bundesadler ein neues Design. Eine seiner wichtigsten Publikation in diesem Kontext: Piktogramme und Icons, Verlag Hermann Schmidt Mainz, 2005

 

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