Business Karriere Design Tools Druck
StartseiteBusinessTranspromoBrüsseler Abrechnung

Transpromo

10.05.2011 16:09

Brüsseler Abrechnung

In ihrer Digitalen Agenda möchte die Europäische Union die elektronische Rechnungslegung europaweit fördern. Bemerkt haben das die Lobbyisten der Druckindustrie erst reichlich spät. Die Folgen für den Digitaldruck könnten enorm sein.

Kuvert Intergraf BrüsselBotschaft nicht angekommen: Die Digitale Agenda der EU hat die Druckindustrie-Lobby kalt erwischt. © Beigestellt
4c Extra communication_eu.pdf questionnaire_einvoicing.pdf relevance_cmo.pdf
Web-Links Digitale Agenda der EU

Wenn guter Lobbyismus die Kunst des Wechselspiels zwischen Partizipation und Intervention ist, so haben die Lobbyisten der europäischen Druckindustrie in Brüssel in diesem einen Fall einen grandiosen Kunstfehler zu verantworten. Mehr als ein Jahr lang hat die Europäische Kommission ziemlich unbemerkt und völlig ungestört von den Experten der Intergraf an einer Initiative gewerkt, die alles andere als eine kommerzielle Petitesse für den Printsektor auf dem Kontinent ist. Um die europäischen Konsumenten zu mehr grenzüberschreitendem Handel zu bewegen und damit die Wirtschaftsunion zu stärken, hat die Kommission in ihrer Digitalen Agenda das Begehr verpackt, dass bis zum Jahr 2020 elektronische Rechnungen europaweit Standard werden sollten – und damit die papierne Rechnung praktisch zum Auslaufmodell wird. Selbst die Einrichtung nationaler Gremien für die Etablierung flächendeckender elektronischer Rechnungslegung  wird diskutiert. „Uns ist das erst bewusst geworden, als Anfang Dezember des Vorjahres der Bericht der Kommission über die Förderung des E-Invoicing veröffentlicht wurde“, sagt Beatrice Klose, Generalsekretärin der Intergraf in Brüssel, offen.

Gut vernetzte IT-Lobby

Man kann der Europäischen Kommission indes nicht vorwerfen, in sinistrer Absicht und geheim vor sich hin getüftelt zu haben – vielmehr haben die Lobbyisten der Intergraf die Möglichkeit zur Teilhabe an der Entwicklung dieses Teils der großen Digitalen Agenda verstreichen lassen. Nachdem im Herbst 2009 eine 30köpfige Expertengruppe ihre Empfehlungen für die Implementierung der elektronischen Rechnungslegung abgegeben hatte, veröffentlichte die Kommission eine Online-Umfrage, bei der Stakeholder in ganz Europa ganz offen ihre Wünsche und Anmerkungen zur Kenntnis bringen konnten. Drei Monate, bis Februar 2010, konnten Personen und Organisationen ihre Meinung zu den Ergebnissen des Expertenberichts zum E-Invoicing, abgeben. Mit weltweit gerade mal 87 Teilnehmern war die Umfrage zwar nicht unbedingt ein Fest der Mitbestimmung. Bemerkenswert aber ist, dass knapp die Hälfte der Umfrage-Teilnehmer aus der IT-Industrie und damit jener Branche kam, die am meisten von der Entwicklung von E-Invoicing-Systemen profitieren würde. Die Intergraf und andere Verbände der Druckindustrie haben nicht mitgemacht. Nur der kleine europäische Verband der Kuvertindustrie FEPE schickte der EU-Kommission eine sechsseitige Stellungnahme und widersprach einigen der Argumente für das E-Invoicing. „Ich glaube, dass die Kommission den Rahmen der Stakeholder zu eng gefasst hat. Sie hat nicht an die Papier – und Druckindustrie gedacht“, sagt Beatrice Klose heute. Was zweifellos richtig ist. Aber: Die Bringschuld liegt in diesem Fall ganz eindeutig nicht bei der Europäischen Kommission, sondern bei den Lobbyisten. Bisher einziger sichtbarer Beleg für den Kummer der Druckindustrie mit diesem Teil der Digitalen Agenda: ein Offener Brief an die Kommission im Januar 2011.
 
Gebremster Markttreiber


Dabei bedrohen die Pläne der EU, die elektronische Rechnungslegung ziemlich einseitig zu fördern, ein Segment des Digitaldrucks, dem – selten genug in der Druckindustrie – phänomenales Wachstum attestiert wird: Transpromo. Schlimmer noch: Der Werbeträger Rechnung hat in den letzten Jahren als technologischer Kronzeuge für die Relevanz und die Wirkung gedruckter Kommunikation hergehalten. Rechnungen, so die Argumentation, würden in ihrer postalisch angelieferten Form von der überwältigenden Mehrzahl der Empfänger geöffnet; also könnten sie auch als ausgesprochen aufmerksamkeitsverwöhnter Träger von relevanter Werbung dienen. 92 Prozent der Empfänger, so will kürzlich eine Studie heraus gefunden haben, öffnen monatlich gesandte Kuverts mit Rechnungen auch, bei der Email-Variante sind es nur 72 Prozent. 95 Prozent aller Rechnungen in Europa werden übrigens noch immer in gedruckter Form übermittelt – der Markt wäre dann mal perdu.
Wie schwer das mögliche Ende der gedruckten Rechnung die Wachstumsphantasien der Digitaldruckhersteller zerzausen könnte, formuliert Infotrends-Analyst Ralf Schlözer so: „Bei den sehr schnellen und hochvolumigen Inkjet-Systemen wird ungefähr die Hälfte der Maschinen vornehmlich im Transpromo-Bereich eingesetzt. Das ist also schon ein sehr wichtiger Markttreiber für diese Systeme“. Selbst in anderen Maschinenklassen im wenig transpromo-freudigen Österreich würden die Auswirkungen deutlich spürbar sein. „Fünf bis acht Prozent unserer installierten Maschinenbasis in Österreich werden zumindest teilweise mit Transpromo-Aufträgen ausgelastet“, erzählt Alfred Zmek, Marketing-Experte bei Canon Österreich. In einem Markt, in dem die Claims derart eng gesteckt sind, können auch solche vordergründig kleinen Verschiebungen Wirkung entfalten. Bisher auf Rechnungsdruck spezialisierte Dienstleister oder auch entsprechend ausgestattete Hausdruckereien würden wohl versuchen, in andere Marktsegmente auszuweichen und damit schlimmstenfalls einen neuen Preiskampf auch im Digitaldruck-Segment zu entfachen.

Absetzbewegungen

Doppelt vorsorgen für den Tag, an dem in Europa vielleicht die letzte Rechnung gedruckt wird, müssen indes die Hersteller der hochvolumigen Inkjet-Systeme. „Die Systeme werden sich in andere Richtungen weiter entwickeln, denn wo es derzeit hapert, ist oft die Qualität und auch die Bedruckstoff-Vielfalt“, antizipiert Ralf Schlözer. So könnten die Maschinen eben auch für andere Marktsegmente getunt werden.
Einige der Anbieter wiederum werden versuchen, ihr Gedeih vom Trägermedium Papier abzukoppeln. So arbeitet die auf Transpromo spezialisierte Ricoh-Tochter Infoprint Solutions mittlerweile daran, ihre Kundschaft unabhängig vom gewählten Ausgabekanal zu beraten. Und noch mehr als das: „Es kann ja auch sein, dass Infoprint Solutions in einigen Jahren auch Serverkapazität für elektronische Rechnungslegung zur Verfügung stellt“, sagt Infoprint-Marketingchef Thomas Haas. Den Konzernsprech hat Infoprint Solutions – wie auch andere Anbieter – sowieso schon angepasst: Was bisher Transpromo war, wurde nun um den Faktor Medienvielfalt erweitert und heißt nun Precision Marketing.

Post mortem

Noch schlimmer treffen als die Druckindustrie könnte es übrigens die europäischen Post-Dienstleister, wenn die Zusteller keine Rechnungen mehr auszuliefern haben. „Rund 50 Prozent des Postvolumens sind derzeit Rechnungen. Diese Pläne, wenn sie denn so durchgeführt werden, gefährden das gesamte Postzustellsystem, wie wir es heute kennen“, schätzt Infotrends-Experte Schlözer. Den Postunternehmen in Europa wird es wohl eher schwer fallen, einen solchen Volumensverlust auszugleichen.
Der Offene Brief indes, den die Intergraf Ende Januar an die Kommission versandt hatte, wurde mittlerweile beantwortet und ein Termin zwischen Vertretern der Druckindustrie und der Kommission vereinbart. Ein für Ende April angesetzter Termin ist aber geplatzt, nun soll im Laufe des Mai ein Gespräch stattfinden. „Wir werden die Kommission nicht überzeugen, die Digitale Agenda zurück zu nehmen und stellen uns auch nicht gegen die Entwicklung des E-Invoicing. Aber die Kommission sollte bestimmte Systeme anderen nicht vorziehen und das tut sie mit der Förderung der elektronischen Rechnungslegung. Wir fühlen uns diskriminiert.“ Eine starke Verhandlungsposition würde wohl anders aussehen.

 

Nur in der aktuellen Printausgabe (4c, 3/11): Wie Drucker sich auf das mögliche Ende des Rechnungsdrucks einstellen. Die Exklusiv-Umfrage.