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18.05.2011 15:54

Kippen die Zeitungen nach links?

Aufregend ist die Typografie der FAZ ja nicht. Aber präzise und glaubwürdig. Doch in letzter Zeit schleichen sich einige bemerkenswerte Setmsamkeiten ein. Von Rolf Rehe

Braucht nach Meinung von Rolf Rehe wieder mal eine Sitzung der typografischen Kommission Frankfurter AllgemeineBraucht vielleicht wieder mal eine Sitzung der typografischen Kommission: Frankfurter Allgemeine © Beigestellt

Sie sind mehr als Tageszeitungen. Sie sind Institutionen, eine gute Handvoll hochkaratiger Verlage, verstreut über den Globus. Dazu gehören El Pais, Politiken, Neue Zürcher Zeitung, früher einmal die Times in London, La Nacion in Argentinien, die New York Times, und einige mehr. In Deutschland ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine jener Institutionen.

Meistens zeichnen sie sich nicht nur durch ihre Inhalte, sondern auch durch ihre Gestaltung aus. Die handwerklich sorgfältig ausgearbeitete Typografie dieser Blätter untermauert die Glaubwürdigkeit ihrer Inhalte. Es sind Zeitungen, die nicht nur sorgfältig gelesen werden. Sie werden studiert – und setzen Standards.
Die Typografie der FAZ kann man als klassisch bezeichnen, passend zu einer konservativ geprägten Zeitung. Dass die FAZ die in Fraktur gesetzten Überschriften der Kommentare auf dem Altar des Zeitgeistes opferte, bedauern zumindest puristische Typografen.)
Eine Grundwahrheit ist es, dass die Zeitung ein typografisches Medium ist, dass sie vor allem aus Schrift besteht, aus Buchstaben, die ja die Bausteine menschlichen Wissens sind. Schrift ist gedruckte Sprache. Gute Typografie setzt sich aus vielen kleinen, oft winzigen Einzelelementen zusammen.
Die Gestaltung und die Typografie der FAZ ist nicht aufregend, aber sie ist autoritativ, präzise, glaubwürdig. In vielem trägt die Zeitung immer noch die Handschrift des genialen Typografen Konrad Boch, der lange für das Erscheinungsbild zuständig war. Wie wichtig der FAZ die Typografie ist, zeigt sich auch darin, dass sie seit vielen Jahren eine eigene typografische Kommission unterhält, deren Aufgabe es ist, optische Qualität zu gewährleisten.
Doch diese konservative Zeitung kippt nach links, langsam, methodisch, und zunehmend. Gut, die FAZ kippt nur optisch nach links. Der Eindruck entsteht – durch die Überschriften. Grundsätzlich können Überschriften entweder zentriert oder eben linksbündig dargeboten werden. Zentrierte Überschriften wirken konventionell, beruhigend, vielleicht etwas behäbig. Linksbündige Überschriften wirken dagegen eher dynamisch und lebendig.
Wo liegt das Problem? Es liegt darin, dass viele mehrspaltige Überschriften der FAZ sehr kurz sind, oft nur aus wenigen Worten bestehen, und daher visuell nach links abkippen. Es bleibt dann sehr viel Weissraum auf der rechten Seite dieser Titel. Sie erinnern an eine Wippschaukel, bei der auf der rechten Seite niemand sitzt und die deshalb in der Luft hängt.

Optische Eselsbrücke

Typografen schmerzt diese Unausgeglichenheit. Ist es nicht ein bewährter Brauch, dass Überschriften fast – aber nicht ganz – über die volle Artikelbreite laufen sollten? Und ist es nicht ein bewährter Brauch, dass eine Überschrift auf den Inhalt eines Artikels hinweist? Überschriften, die nur aus ein oder zwei Worten bestehen, tun dies normalerweise nicht.
Eine optische Eselsbrücke bietet sich zumindest für Kommentare an. Wenn solch kurze, mehrspaltige Überschriften zentriert gesetzt werden, entfällt der nach links kippende, einseitige Effekt. Das macht die FAZ – und setzt dadurch zugleich Kommentare stilistisch von Nachrichten ab.
Die FAZ wird nicht nur zitiert – sie inspiriert auch andere. Vor längerer Zeit hat die FAZ ein grosses, mehrspaltiges Foto mit einem kurzen, aber ausgeklügelten Text auf der Titelseite eingeführt. Sei’s zufällig, sei’s nicht, dieses Konzept gehört heute zum visuellen Repertoire vieler deutschsprachiger Blätter. Es ist ein gutes Konzept, lädt zum Einstieg in die Seite ein. Allerdings bleibt die bildliche und textliche Qualität der FAZ anderswo meist unerreicht.

Rar wie alte Holzbuchstaben

Aber: Auch der Überschriften-Linksruck der FAZ inspiriert andere. Sei’s zufällig, sei’s nicht, auch dieser Stil wird von anderen Zeitungen im deutschsprachigen Blätterwald übernommen. Das ist nicht überraschend, denn in vielen Zeitungen – nicht nur im deutschsprachigen Raum – sind Innovationen rar wie alte Holzbuchstaben. Man orientiert sich an den Entwicklungen der grossen Blätter, der Institutionen.
Nur: Sind nach links kippende Überschriften ein gutes Konzept?
Es ist ein Zwiebelfisch-Konzept, um einen Ausdruck aus der Bleisatz-Zeit zu benützen. Zwiebelfische, das sind Lettern, die im Setzkasten einer falschen Schrift gelandet sind. Es sind Fremdkörper. Durch diese extrem kurzen Titel entsteht eine räumliche Unausgeglichenheit, ein typografisches Unikum, das nun fröhlich Urständ feiert in deutschsprachigen Blättern. Was als harmonische Anwendung von mehr Weissraum gedacht ist, erscheint als Ansammlung von fragmentierenden Weissraum-Löchern.

Typografische Kommission

Dass viele Zeitungen – und nicht nur im deutschsprachigen Raum – ihre Typografie stiefmütterlich behandeln, mag vielleicht bewusst nur einem Typografen auffallen. Vielleicht mag es auch nur einem Typografen bewusst einfallen, dass zurückgehende Auflagen auch mit stiefmütterlicher Anwendung von Schrift zu tun haben, dass Artikel und Zeitungen auch deswegen weniger gelesen werden.
Es wäre falsch, die Leser zu unterschätzen. Sie erkennen sehr wohl, wenn eine Zeitung typografisch gut gemacht ist, oder nicht, wenn sie lesefreundlich ist, oder nicht. Leser vermögen dies vielleicht nicht immer zu artikulieren, aber sie nehmen es bewusst oder unbewusst wahr. Und noch einmal: Gute Typografie setzt sich aus vielen kleinen, aber wichtigen Einzelelementen zusammen.
Vielleicht sollte die FAZ ihre typografische Kommission wieder einmal einberufen, um sich mit den nach links kippenden Überschriften zu befassen? Das wäre gut für die deutschsprachige Zeitungslandschaft.

 

Rolf F. Rehe, Zeitungsdesigner und Typograf, hat Zeitungen weltweit beraten und gestaltet.  

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