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Crossmedia

28.10.2012 17:01

Ansprechende Zeitungen

In Großbritannien tüfteln Wissenschafter an der sprechenden Tageszeitung. Gedruckte Elektronik und leitfähige Farben sollen das Erlebnis Lesen bald um das Erlebnis Hören erweitern.

Der Eindruck von genussvoller, entspannter Zeitungslektüre will beim Betrachten der Versuchsanordnung nun wirklich nicht aufkommen: auf dem Tisch des Probanden liegt die britische Regionalzeitung „Lancashire Evening Post“, daneben ein iPad, der Proband trägt überdimensionale Kopfhörer und drückt ein bisschen monoton auf eine Ecke der Zeitung – jene Ecke, in der ein „Play“-Button abgebildet ist. Dann startet eine Audiodatei.

Papier mit Webanschluss

Mag man sich auch nicht recht vorstellen wollen, dass Zeitungslektüre künftig so aussieht, so ist die Versuchsanordnung doch Basis für etwas, was in absehbarer Zeit den Alltag von Zeitungslesern beherrschen soll: die interaktive Zeitung, derzeit getestet an den britischen Universitäten Dundee, Surrey und Central Lanashire. Die erforschen im Projekt „Interactive Newsprint“ die Möglichkeiten, die Tageszeitung zum Multimedia-Gadget auszubauen. „Wir verwenden leitfähige Farben, die kapazitive Berührungen und damit eine WiFi-Verbindung ermöglichen. So kann das Papier mit dem Internet verbunden und ein Server erreicht werden. Der stellt dann Soundstücke oder auch Blogs zur jeweiligen Geschichte bereit.“, so Jon Rogers, Dozent für Produktdesign an der Universität Dundee. Und die britischen Wissenschafter haben auch schon daran gedacht, künftig Audiosmog bei der Zeitungslektüre zu vermeiden. „Wir entwickeln druckbare Kopfhörer. Die sind leicht und bieten einen individuellen Zugang.“ Die einzelnen Techno-Cerealien der interaktiven, sprechenden Zeitung kommen dabei vom Elektronikspezialisten Novalia.

Inhaltskontrolle

Interactive Newsprint entwickelt vielfältige Anwendungsmöglichkeiten der physischen App, auch Paper App genannt. Jon Rogers: „Die interaktive Zeitung ist sicherlich nur eine Anwendung von vielen. Poster, Broschüren und Werbeschilder, sie alle können von den Vorteilen des interaktiven Papiers profitieren. Unser Team bei Interactive Newsprint hat schon verschiedene Prototypen produziert, die Audioinhalte spielen und mit Online-Abstimmungen und sozialen Medien interagieren – ganz einfach durch das Drücken interaktiver Stellen auf dem Papier.“ Schöner Nebeneffekt für Verlage: sie können die Lesegewohnheiten ihrer Abonnenten besser kontrollieren und damit auch am inhaltlichen Gerüst ihrer Zeitung schrauben.

Communitys stärken

Neben dem inhaltlichen Auftunen von Zeitungen soll das Projekt auch News aus und in Vereine oder Clubs transportieren. Sie könnten die Technologie im Klubheim wie ein modernes Schwarzes Brett nutzen. Paul Egglestone, Projektleiter an der University Lancashire, erklärt seine Vision: „Stellen Sie sich eine Pinnwand oder Bilderrahmen mit interaktiver Headline vor, auf dem Community-Mitglieder Klub-Neuigkeiten als kurze Textnachrichten oder Voicemails veröffentlichen können“. Der Text könnte auf einem LED-Display erscheinen, Egglestone verweist auf die Vielfalt der gedruckten Elektronik: „Digitale Mikrofone, Buttons, Schieberegler, LED-Text-Displays und mobile Kommunikation – alles kann in einer interaktiven Zeitung verwendet werden.“ Neben Bildung, Werbung, Tourismus und News ist die Musikindustrie eine potenzielle Zielgruppe. Ein Poster mit Community-relevantem Inhalt, etwa eines Independent-Festivals, erhält dazu eine interaktive Fläche. Mit deren Drücken ertönen Musikstücke oder Detailinformationen zur Veranstaltung.

Indien hört zu

Das Internet bietet mit Homepages, iPad-Zeitungen, Blogs und Facebook viele Plattformen für den Community-Austausch. Da könnte es sein, dass die mit hohem Aufwand produzierten interaktiven Zeitungen auch ein bisschen überflüssig sind. Jedenfalls in unserer Hemisphäre. In Schwellenländern, glaubt jedenfalls Jon Rogers, könnte das interaktive Papier gar Hightech-Produkten aus Cupertino Konkurrenz machen:  „Die westliche Mittelklasse kann sich teure Produkte wie ein iPad leisten. Ein Großteil der Weltbevölkerung nicht. Wenn Sie an den enormen Zeitungsmarkt in Indien denken, dann wird das Potenzial von Audiostücken deutlich, direkt von der Zeitung gibt es Artikel in jeglichen Dialekten oder Sprachen. Deshalb forschen wir und entwickeln Lösungen für Leute mit unterschiedlichem geographischem und sozialem Hintergrund.“ Rogers glaubt ganz fest daran: „Das iPad wird Papier nicht ersetzen. Ich würde sagen, die Zeitung erhält computerbasierte Unterstützung. Wir mixen digitale Medien und Papier und müssen Geschäftsmodelle finden, die sowohl die wirtschaftliche als auch die soziale Seite bedienen.“ IT-geschwängertes Lesen bedeutet aber auch die Notwendigkeit von Ausgabegeräten. Dafür benötigt man in smartphone- und tablet-armen Ländern ebenfalls eine Lösung, vielleicht sogar eine, die ohne Wireless LAN auskommt. Vielleicht finden Rogers und sein Team bei einem Zeitungsverlag zwischen Mumbai und London ja Gehör.

Ingo Woelk

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