Vektorgrafiken
02.07.2012 12:23
Vektor-Nachwuchs
Für 20 Euro bietet Apples Appstore nun ein Vektorgrafik-Tool. 4c hat nachgesehen, ob De-facto-Monopolist Adobe sich jetzt warm anziehen muss.
Black is beautiful: Das auf Hochglanz polierte iDraw hat ein recht dunkles Erscheinungsbild. © Beigestellt
Einem breiteren Publikum ist iDraw als erste Vektor-App fürs iPad ein Begriff geworden. Die Mac-Version ist im Vergleich dazu ein wenig untergegangen. Dabei ist die exklusiv über den Mac-Appstore vertriebene Software einen genaueren Blick wert.
Die Basiszutaten stimmen jedenfalls: Pfade zeichnen, ausrichten, verteilen, skalieren, rotieren, spiegeln, gruppieren, kombinieren, verbinden und so weiter – alles funktioniert wie erwartet. Die Werkzeuge sind außerdem übersichtlich angeordnet, man sucht nie lange nach einer Funktion.
Die rudimentäre Ebenenverwaltung erinnert an Photoshop: Ganzen Ebenen können Transparenz- und Füllmodus-Einstellungen zugeordnet werden. Die Zeichenfläche als solche muss nicht weiß bleiben und kann eingefärbt werden.
Sehr konsequent wurde der Gestaltungsraster umgesetzt. Über eine Palette lassen sich Rasterweiten in x- und y-Richtung sowie genaue Seitenränder festlegen. Außerdem lassen sich die Raster weiter unterverteilen.
Perfekter Pixelexport
Apropos Raster: iDraw ist optimiert fürs Screen-Design. In den Programm-Einstellungen gibt es die Möglichkeit, Konturen automatisch immer exakt auf den Pixelraster einschnappen zu lassen, damit etwa ein Web-Icon immer knackig und scharf aussieht. Deshalb verwundert es nicht, dass unter den Exportformaten die pixelbasierten vorherrschen. iDraw beherrscht aber auch PDF und SVG und kann durchaus auch CMYK- und Pantone-Farben einsetzen.
Besonders positiv fällt die Performance-Bilanz aus. iDraw ist sauber und effizient programmiert, alle Pfadarbeiten laufen ruckelfrei und in Echtzeit ab. Außerdem ist das Tool im Hintergrund geradezu ein Mac-Musterschüler: Wie es sich gehört, verbraucht iDraw keine CPU-Ressourcen mehr, sobald zu einem anderen Programm gewechselt wird. Das ist ein gewichtiges Argument für den mobilen, also batteriebetriebenen Einsatz.
Bezahlt macht sich die hohe Performanz bei allen Einstellungen, die man an Objekten vornehmen kann; sei es eine Veränderung der Strichstärke mit dem Schieberegler in der Konturpalette, das Anpassen des Seitenrasters oder die Adjustierung des Schattenattributs: Alles kann live mitverfolgt werden. Man muss nicht erst per Klick auf einen OK-Button die Änderung bestätigen.
Ein kleiner Geniestreich ist den iDraw-Entwicklern mit der Label-Funktion gelungen. Mit ihr lassen sich Objekte dynamisch etikettieren. Gesamtlänge, Höhe, Breite und Flächeninhalt lassen sich automatisch berechnen und neben ein Objekt setzen. In Kombination mit der intuitiv gestalteten Einstellung für die dokumentenweite Skalierung lassen sich automatisch beschriftete, maßstabsgetreue Pläne zeichnen.
Das dunkle Erscheinungsbild kann durchaus zur Herausforderung für die Sehstärke des Users werden. Ein Laptop-Schirm befindet sich schließlich nicht immer in idealer Lichtumgebung. Graue Symbole auf schwarzem Untergrund sind dann nicht mehr leicht auszumachen. Leider fehlt eine Einstellung, mit der sich das Erscheinungsbild aufhellen ließe.
Paletten-Minimalist
Trotzdem: Der Minimalismus des iDraw-Interfaces verdient eine lobende Erwähnung. Das Programm kommt mit nicht mehr als vier Paletten aus. Obwohl sie etwas zu groß geraten sind, bleibt der Schirm im Gegensatz zu Illustrator stets angenehm aufgeräumt.
Die Appearance-Palette erlaubt die Steuerung von Kontur und Füllung, einfachen Textoptionen, Opazität und Schatten. Die Kontur kann aber auch mit einem Pinsel gezeichnet werden: Ähnlich wie Illustrators Kalligrafiepinsel lassen sich rotierte Ellipsen um die Kontur schmieren. Die Opazität lässt sich zwar nur fürs ganze Objekt einstellen und nicht separat für Kontur oder Füllung. Dafür ist aber die Implementierung der Schattenfunktion sauber gelöst.
Die Paletten für Bibliotheken und Stile entsprechen weitgehend den Illustrator-Paletten „Symbole“ und „Grafikstile“. iDraws Symbole lassen sich in Vektor-Bibliotheken organisieren und bereithalten. Fix mitgeliefert wird zum Beispiel eine Bibliothek namens „iPhone Sketch“, mit der sich Interface-Mockups fürs iPhone erstellen lassen. Objekte aus Bibliotheken sind jedoch nicht verknüpft, sondern können immer nur als aufgelöste Pfade platziert werden.
Sehr elegant umgesetzt ist die Properties-Palette: Sie vereint übersichtlich die Illustrator-Funktionen Transformieren, Pathfinder, Anordnen und Ausrichten. Außerdem lassen sich mit derselben Palette die Abmessungen für Dokumentraster und Zeichenfläche adjustieren. Daran kann Adobe sich noch ein Beispiel nehmen.
Fähig zum Ausbau
Dennoch gibt es einige Funktionen, die man in iDraw schmerzlich vermisst. So fehlt etwa eine Möglichkeit, zwischen Pfaden zu interpolieren, in Illustrator-Sprech „Angleichen“. Außerdem ist iDraw nicht in der Lage, einzelne Punkte zueinander auszurichten oder Objekte mehrfach zu duplizieren. Eine einfache Zickzacklinie ist so nur mühsam zu zeichnen. Man kann sich aber mit einem Raster behelfen. Ebenfalls hoch oben auf der Wunschliste: Hilfslinien. iDraw hat keine.
Die Typo-Funktionen sind leider auch sehr eingeschränkt. Es gibt zum Beispiel keinen Zugriff auf die OpenType-Features, obwohl etwa automatische Ligaturen und Kontextalternativen aktiviert sind – aber eben nicht ausschaltbar. Ebenfalls auf der Wunschliste des willigen Vektor-Konvertiten: ein automatisierbares Infografik-Modul. Die Label-Funktion würde dazu bereits einen ausbaufähigen Ansatz bieten.
iDraw ist ein weit entwickeltes Programm, das den Vergleich nicht mehr zu scheuen braucht. Freilich, die lange Wunschliste zeigt, dass das Programm durchaus noch ausbaufähig ist. Fortgeschrittene Funktionen wie Illustrators Scribble-Filter, die Bildpinsel oder Kniffe wie die Anwendungen mehrerer unterschiedlicher Konturen auf einen einzigen Pfad sucht man vergebens.
iDraw wird den vollen Funktionsumfang von Illustrator in absehbarer Zeit nicht ersetzen können. Für einfache Illustrationen, für Skizzen, Baupläne und Screendesigns ist das Tool aber eine sehr günstige und brauchbare Alternative.
Rainer Scheichelbauer