Apple
03.12.2012 10:02
Völlig aufgelöst
Apples MacBook Pro mit hochauflösendem Retina-Schirm wird die Spielregeln im Design nachhaltig verändern.
Netzhaut-Laptop: Das MacBook Pro mit Retina-Schirm soll laut Gerüchteküche nur ein erster Vorgeschmack gewesen sein. In Zukunft sollen alle Macs hochauflösende Displays bekommen. © Apple
Es gibt drei Aspekte des neuen MacBook Pro, die sowohl richtungsweisend als auch umumkehrbar sind. Erstens sind Solid-State-Platten verbaut und keine herkömmlichen Festplatten mehr. Wer einmal mit einer SSD arbeitet, will nicht mehr zurück zur HD. Zweitens hat das Notebook, das Apple vor dem Sommer vorgestellt hat, kein optisches Laufwerk mehr. Software, Filme und Musik werden heute über das Netz vertrieben, das Zeitalter der langsamen und kratzeranfälligen Silberscheiben ist wohl endgültig vorbei. Und drittens bietet das MacBook eben den hochauflösenden Retina-Schirm mit 220 Pixeln pro Zoll. Das ist feiner als ein Sechzigerraster – aber bei gleichem Betrachtungsabstand.
In allen drei Punkten kann man sich einen Schritt zurück nur noch schwer vorstellen. Die Mac-Twitteria spekuliert deshalb nicht ganz zu unrecht, dass bei künftigen Macs nur noch Retina-Schirme zum Einsatz kommen werden. Der einflussreiche amerikanische Tech-Blogger John Gruber etwa sprach begeistert von einer „Auflösungsrevolution“. Es gebe, so Gruber, genug Positives über das MacBook zu erzählen. Die Performance etwa kann sich sogar mit den Mac Pros messen. Aber erst über das Display kommt der sonst eher nüchterne Gruber ins Schwärmen.
Retina-Subpixel-Typo
Was das MacBook-Display besser macht als die Retina-Schirme von iPhone und iPad, ist die Text-Darstellung. Im Gegensatz zu den Mobilgeräten setzt das MacBook nämlich Subpixel-Rendering ein. Jeder Bildschirmpixel besteht genau genommen aus drei senkrechten Streifen: einem grünen, einem roten und einem blauen. Aus diesen Pixel-Dritteln setzt sich additiv die Pixelfarbe zusammen. Für die Darstellung von Text werden diese drei Subpixel gesondert angesprochen, wodurch der Text horizontal dreimal so hoch aufgelöst wird.
Und Fonts sehen auf dem neuen Display tatsächlich gestochen scharf aus. So gibt es keine sichtbaren Farbränder mehr. Sogar das für Macs typische Verfetten der Schrift fällt weg: Bisher wirkten Fonts durch das Mac-Antialiasing immer etwas schwerer. Grubers Conclusio: Die Zeit, in der Fonts für den Bildschirm optimiert werden mussten, geht ihrem Ende zu. Aus diesem Grund prophezeit Gruber, dass Apple bald die Systemschrift wechseln wird. Die angepasste Lucida Grande, die derzeit noch zum Einsatz kommt, wirke nunmehr fehl am Platz.
Nie wieder Hinting
Wenn in absehbarer Zeit hochaufgelöste Displays der Standard sind, hat sich der Gottseibeiuns vieler Schriftgestalter erübrigt: das Hinting, mit dem eine Schrift für die Darstellung mit wenigen Pixeln optimiert wird. Eine gute Screen-Optimierung ist mitunter sehr aufwändig. Besonders die Anpassung von Truetype-Fonts kann sehr komplex werden, ist für Webfonts aber bis heute notwendig, weil Internet Explorer bis inklusive Version 8 auf Truetype-basierte EOT-Schriften angewiesen ist. Deshalb gibt es zurzeit auch nur wenige gute Schriften, die für ein Webdesign in Frage kommen, das auch alte Browser berücksichtigen muss. Wenn man aber in Zukunft das Hinting vernachlässigen kann, bieten sich wesentlich mehr Schriften für Screen-Design an.
Schwieriger wird es schon beim Bildmaterial. Retina-Screenshots haben nicht mehr 72, sondern 144 ppi. Für das Webdesign hat das eine Konsequenz: Normale, pixelgenaue Bildeinbindungen wirken leicht unscharf, so als ob jemand einen leichten Weichzeichner appliziert hätte. Um das Manko zu beheben, arbeitet man einfach nicht mehr pixelgenau, sondern stellt Bilder mit mindestens doppelt so hoher Auflösung als bisher notwendig in die Seite. Sind die Bilder nicht heruntergerechnet, wirken sie so knackig und detailliert wie in einer Hochglanzbroschüre.
Wo Licht ist, ist freilich auch Schatten. Mit dem Retina-Display hat Apple den Software-Entwicklern eine Steilvorlage geliefert. Aber bis die ganze Industrie ihre Programme angepasst hat, wird es noch ein wenig dauern. Microsoft hat sich bis Mitte September Zeit gelassen mit den Retina-Updates für das Mac-Office. Und das ist für einen Big Player noch recht schnell, wenn man die Testphasen für die Software einrechnet.
Programme, die noch nicht für die hohen Auflösungen optimiert sind, werden vom Betriebssystem mit einer Pixelverdopplung abgespeist. Das bedeutet natürlich, dass auch kein Subpixel-Rendering funktioniert. Neben den bereits hochaufgelösten Apps wirken sie deshalb ganz besonders klobig und altbacken. Ganz vorn bei den Betroffenen: Adobes Creative Suite, inklusive der letzten Version CS6.
Adobe-Versprechen
Ende August kündigte Adobes Produktmanagerin Maria Yap die Unterstützung für hochauflösende Displays „in den kommenden Monaten“ an. Auf ein genaueres Datum wollte sie sich freilich noch nicht festlegen. Im veröffentlichten Statement räumte Yap einerseits ein, dass der Status quo, also die Pixelverdopplung, unbefriedigend sei, bat aber gleichzeitig um Verständnis, weil allein für Photoshop über 2500 Icons gewechselt werden müssten. Die einzelnen Produktteams werden unabhängig voneinander ihre hochauflösenden Updates nachschieben.
Yap listete neun Programme auf, die ein Update bekommen würden, darunter Illustrator, Photoshop, den Web-Editor Dreamweaver und das Video-Tool Premiere. Prominent abwesend auf der Liste: InDesign und Acrobat. Hier heißt es weiterhin: bitte warten. Das ist besonders schade, weil ja gerade die Typografie enorm von der hohen Auflösung und dem Subpixel-Rendering profitiert.
InDesign-GAU
Zu Sommerbeginn kam es außerdem noch zu gröberen InDesign-Problemen. Nach Apples Systemupdate auf OS X 10.7.4 stürzte InDesign bei der Anzeige von Warndialogen ab. Als einzigen Workaround konnte man betroffenen Usern lediglich den Downgrade auf 10.7.3 empfehlen. Dumm: Die Retina-MacBooks wurden mit 10.7.4 ausgeliefert. Betroffenen Usern waren die Hände gebunden – ein kleiner GAU für InDesign, und das nur knappe zwei Monate nach der Vorstellung von CS6.
Bei Adobe schob man die Schuld postwendend auf Apple. Die Mac-Macher hätten in der neuen Version Bestandteile entfernt, die InDesign für System-Icons brauche. Noch im Juli lieferte Adobe einen Bugfix nach, im September folgte schließlich das InDesign-Update auf 8.0.1. Wenigstens diese Probleme sind also mittlerweile behoben.
Dass die Retina-Anpassung tatsächlich etwas bringt, machen in der Zwischenzeit aber schon alternative Tools vor: Die Appstore-Bestseller iDraw und Pixelmator etwa sind zwar erst teilweise an den Retina-Screen angepasst, die Werkzeuge selbst arbeiten aber bereits hochaufgelöst. Wenn man die Augen zusammenkneift und die Nase gegen das Glas drückt, kann man freilich noch immer Schirmpixel in den Pfaden sehen. Bei normalem Betrachtungsabstand schauen Vektoren aber wirklich wie Vektoren aus. Die Vorschau am Bildschirm ist jedenfalls gut genug, um in den meisten Fällen auf einen Probeausdruck verzichten zu können.
Freilich: Noch hat nur eine Minderheit von Designern und Konsumenten hochaufgelöste Bildschirme zur Verfügung. Smartphones und Tablets haben in den letzten zwei Jahren aber vorgemacht, dass der Umschwung sehr schnell passieren kann. Und die Programmierer und Webdesigner machen ihre Hausaufgaben bereits – oder haben sie schon erledigt. Jetzt heißt es für die Designer also nur noch: warten auf Adobe.
Rainer Scheichelbauer