Kochstudio

10.09.2014 09:35

Garantiert enttäuschend

Native Advertising gilt Verlagen als kosmetische Maßnahme, die Werbekrise zu lindern. Aber die Nebenwirkungen sind nicht zu unterschätzen.

Den Leser in die Irre geführt: Native Advertising ist nichts als eine Mogelpackung. © Fotolia.de

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Die Situation ist hinlänglich bekannt, aber deshalb nicht weniger brisant. Die Verlage verlieren Auflage und viele von ihnen gleichen Leserverluste durch ihre Online-Angebote aus. Unterm Strich also im Idealfall ein Nullsummenspiel. Dumm nur, dass die Online-Werbeeinnahmen die wegbrechenden Anzeigenerlöse nicht ausgleichen. Onlinebanner sind nämlich wertlos – auch von der Erlösseite her betrachtet. Da sind die Verlage verständlicherweise dankbar für jede neue Idee.

Glättung

Nun ist sie da: die Lösung, die den Verlegern endlich alle Sorgenfalten wie nach einer Botox-Behandlung glätten soll. Sie heißt „Native“. Native Advertising sind mediale Inhalte, die in das optische Erscheinungsbild des Mediums eingebunden werden, die Werbung ist also Teil des Inhalts. Man könnte, abweichend von dieser offiziellen Definition, auch sagen: Native ist der Versuch, etwas zu sein, was man nicht ist. Native ist plumpe Reklame, die sich den Anschein gibt, ein Teil der Redaktion zu sein.

Neu ist das nicht. Nach einer Auswertung der ZMG wurde im letzten Jahr knapp ein Fünftel aller gedruckten Zeitungsanzeigen als Sonderformat geschaltet, ein Viertel davon als sogenannte Advertorials, also Werbeanzeigen mit redaktionellen Inhalten.

Begeisterung

Wer nun glaubt, die Journalisten würden sich über diese bewusste Vermischung von Redaktion und Werbung entrüsten, sieht sich getäuscht. Die Zeitungen sind begeistert. Die „Washington Post“, die „New York Times“, noch bis vor kurzem „Der Spiegel“, ebenso wie viele deutsche Zeitungen; sie alle ahmen nach, was Online-Sites wie Buzzfeed groß machte. Hinter der redaktionell aufgemachten Überschrift „18 GIFs That Are Just Unbelievably Beautiful“ verbirgt sich Werbung für Pepsi. Der Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti sagt dazu treffend: „Die klassischen Medien haben den Fehler gemacht, Werbung als notwendiges Übel zu behandeln. Jetzt können sie sich das nicht mehr leisten.“

Irreführend

Schauen wir der Wahrheit ins Auge: Native entpuppt sich keinesfalls als das vom Online-Imperium gebetsmühlenartig vorgetragene Versprechen, den Usern nur noch die Werbung auszuliefern, die sie sich sehnlichst wünschen. Native ist der erneute Versuch, die User mit genau der Schleichwerbung zu konfrontieren, die sie eben nicht wollen. „Der Spiegel“, offenbar schnell vom Saulus zum Paulus gewandelt, schrieb treffend, dass der ureigene Sinn und Zweck von Native nur sein kann, den Leser in die Irre zu führen.

Vertrauenskrise

Verlage, die Native aus schnöden Erlösmotiven auf die Agenda setzen und offensiv vermarkten, sind entweder grenzenlos na(t)iv oder haben den Wert ihres redaktionellen Contents längst über den Haufen geworfen. Nach einer Studie von Contently sehen 59 Prozent der Befragten in Native eine Rufschädigung beim Medium. Sie haben richtig gelesen: Native zerstört das Vertrauen der Leser in die Reputation, Unabhängigkeit und Qualität der Verlagsprodukte – offline wie online. Nicht in ein paar Monaten, aber ganz sicher im Laufe der Zeit. Ganz langsam und stetig wie ein Tropfen, der das jahrhundertealte Gestein des unabhängigen Journalismus aushöhlt. Wenn dann bald autarke Blogger einen höheren Stellenwert genießen als die heutigen Verlags-Journalisten, sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.

Und übrigens, Botox glättet ja eigentlich keine Falten, sondern wirkt vor allem lähmend.

Thomas Koch*

Thomas Koch ist Mediaplaner und Agenturgründer, Ex-Starcom-CEO, Herausgeber von „Clap“ und Media-Persönlichkeit des Jahres. Er schreibt hier regelmäßig über die Zukunft von Print. Folgen Sie Thomas Koch auf Twitter: @ufomedia

(4c Ausgabe Deutschland 6/2014)

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