Digitaldruck

02.12.2015 19:45

Der Kodak-Moment

Zwei Jahre nach der Rückkehr aus der Insolvenz steht Kodak nun vor einer entscheidenden Phase. In den kommenden Monaten wird sich weisen, was der ehemalige Weltkonzern mit seinem Digitaldruck-Angebot überhaupt ausrichten kann. Und daran hängt viel. Plus: das ausführliche Exklusiv-Interview mit Kodak-CEO Jeffrey Clarke.

Kodak-CEO Jeffrey Clarke im 4c-Gespräch: „Jetzt brauchen wir Partner.“ © Schwarz

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Würde man einen geografischen Punkt suchen müssen, an dem sich für den Ex-Weltkonzern Kodak weiteres Darben oder neues Gedeihen, fortgesetzter Niedergang oder abermalige Prosperität verdichten, dann würde man wahrscheinlich an diesen Koordinaten beginnen müssen: 49 15 N 2 10 W. Man findet an diesen Koordinaten nicht Rochester in der Nähe von New York, den Hauptsitz von Kodak; auch nicht das Silicon Valley, den Wohnsitz von Kodak-CEO Jeffrey Clarke; sondern ein paar öde Eilande zwischen Frankreich und Großbritannien: die Jersey-Inseln, knapp 100.000 Einwohner, ein Steuerparadies.

Im kommenden Frühjahr wird dort ein Projekt beginnen, mit dem Kodak eine Entscheidung über die künftige Ausrichtung erzwingen möchte, erzwingen muss. Gemeinsam mit dem regionalen Zeitungsverlag von Jersey, der dort die Tageszeitung „Jersey Evening Post“ produziert, hat Kodak KP Services gegründet. An dem Joint Venture halten die Amerikaner gar die Mehrheit. Mit zwei Inkjetanlagen der Modellreihe Prosper 6000 P sollen hier nächstens sowohl die Jersey Evening Post als auch Zeitungen aus Großbritannien gedruckt werden, rund 35.000 Exemplare insgesamt.

Lieferant als Betreiber

Es gehört zu den ungewöhnlicheren Spielarten der Zusammenarbeit zwischen Maschinenlieferant und Kunde, dass ersterer das Geschäft des Letzteren übernimmt. In dem Fall musste es wohl sein. „Die Geschäftsführung des Verlages hätte nicht das Risiko auf sich genommen, zwei Maschinen zu betreiben, um damit auch die Zeitungen aus Großbritannien drucken zu können. Eine Maschine wäre für die lokale Tageszeitung auch gereicht. Ich hoffe, beim nächsten Mal wird eine solche Investition nicht mehr als Risiko gesehen“, so Jack Knadjian, ehemals Kodak-Manager und nun einer der Geschäftsführer von KP Services, gegenüber 4c. Einen nur scheinbar größeren Spielraum zur Deutung des Kodak-Einstiegs auf Jersey lässt CEO Jeffrey Clarke im Gespräch mit 4c: „Die Installation dort wird zeigen, was das Konzept zu leisten imstande ist.“

Eine neue Struktur

Das Konzept, das Clarke da erwähnt, ist nicht nur die unmittelbare Tauglichkeit des digitalen Zeitungsdrucks unter den besonderen Bedingungen einer Insel. Auf den Jersey-Inseln wird entschieden, welches wirtschaftliche Gerüst Kodak in den nächsten Jahren stabilisieren soll. Noch ist dieses Gerüst nur schemenhaft erkennbar. Aber es sind fundamentale Fragen, die einer Antwort harren. Ob die Konzentration auf die grafische Industrie überhaupt die richtige Entscheidung war. Ob Kodak weiterhin komplette Drucksysteme von der Nexpress bis zur Prosper-Serie anbieten wird können. Ob Kodak vorwiegend als Komponenten-Lieferant oder als Druckmaschinenbauer auftreten wird. Richtungsentscheidungen stehen an. Wie so oft bei Kodak in den letzten 20, 30 Jahren. Aber diesmal ist etwas anders. Experimente kann sich das Unternehmen, das im Jahr 1988 noch 145.000 und jetzt gerade mal 6.500 Mitarbeiter hat, einfach nicht mehr leisten. Und Experimente gab es bei Kodak genug. 

Doch nicht nützlich

Keiner kann mehr über die vielen Richtungswechsel erzählen, die Kodak heimgesucht haben, als James Matteson. Bis 1991 war Matteson im mittleren Management von Kodak tätig und verfasste schon 1979 einen Bericht, der erstaunlich exakt voraussagte, wie der Wandel von Film zu digitalen Bebilderungstechnologien den Riesen beeinflussen könnten. Und er hat miterlebt, welche abenteuerlichen Hakenschläge Kodak in den letzten 30 Jahren vollzogen hat. 1988 etwa übernahm Kodak für mehr als fünf Milliarden US-Dollar den Pharmakonzern Sterling Drug, es war die größte Akquisition in der Unternehmensgeschichte. „Die Idee war, dass man ja aus der eigenen Kompetenz, Chemie herzustellen und aus den 500.000 unterschiedlichen Chemikalien, die man in Rochester entwickelt hatte, Synergieeffekte generieren könnte“, erzählt Matteson, heute Professor an der Rochester Business School, gegenüber 4c. „Es gab aber keine Synergieeffekte mit dem eigenen Bestand an Chemikalien“, erinnert sich Matteson. Sechs Jahre später wurde Sterling wieder verkauft. Für knapp drei Milliarden US-Dollar. „Sie haben wohl die Geduld verloren“, meint Matteson.

Ein  persönliches Ziel

Die Idee, mit damals vollen Kassen zuzukaufen, ja sogar in das Pharma-Geschäft einzusteigen, war ja nicht zwingend falsch. Bloß war es der Beginn einer ganzen Serie von sehr abrupten Richtungsänderungen, die den Konzern arg verformten und dabei selten Bestand hatten. „Jeder der CEOs von Kodak hat einen Strategiewechsel angestoßen, der die Organisation immer stark beansprucht hat“, erzählt Matteson.

Manchmal hatte das auch mit persönlichen Befindlichkeiten zu tun. Bei Antonio Perez, dem Vorgänger von Jeffrey Clarke, war das so. Er hatte vor seinem Kodak-Job bei HP die überaus erfolgreiche Inkjet-Sparte zu verantworten und war sicher, CEO von HP zu werden. Doch statt ihm kam Carly Fiorina zum Zug. „Er trat 2005 an, Kodak zu einer Konkurrenz von HP umzubauen“, so Matteson. Millionen investierte Perez darin, eine Sparte für kleine Inkjet-Desktop-Drucker zu schaffen und damit HP genau dort zu treffen, wo der Wettbewerber am erfolgreichsten war. „Wir sind stolz darauf, 20 Jahre zu spät in diesen Markt einzusteigen“, meinte Perez damals. „Das gibt uns die Möglichkeit, das Geschäftsmodell disruptiv zu erweitern und dort anzusetzen, wo der Konsument am unzufriedensten ist: bei den hohen Kosten für die Tinten“. Gegen die Marktposition von HP und anderen Anbietern konnte Kodak nichts ausrichten. Im Herbst 2012, da war Perez immer noch CEO, stieg der geschrumpfte Konzern wieder aus dem Geschäft aus.

Bei 1,8 bis zwei Milliarden US-Dollar, übrigens weniger als 2012, wird der Umsatz im Geschäftsjahr 2015 liegen. Der Radius, den Jeffrey Clarke jetzt für seine Richtungskorrekturen nutzen kann, ist damit wesentlich kleiner als der seiner Vorgänger. In der Drucksparte stehen trotzdem noch Justierungen an.

 

 

 

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