Augmented Reality
14.04.2016 12:31
Auf die Zeitung klicken
Der britische Verlag Trinity Mirror testet ein neues System, das Inhalte gedruckter Zeitungen digital erweitert und auf die Smartphones der Zeitungleser spielt. Das Schöne daran: Die erweiterte Realität baut sich per Fingerberührung auf die gedruckte Zeitungsseite auf.
Anekdoten vom Fußballhelden: Die Verlagsgruppe Trinity Mirror testet mit dem Projekt EKKO eine neue Form der erweiterten Realität. Per Fingerberührung auf das Papier werden auf dem Smartphone des Lesers Video- oder Audio-Content aktiviert. © Beigestellt
Für die Fans des FC Liverpool ist er ein Held auf dem Rasen. Blitzschnell konnte er Bälle erobern, rasch ein Spiel in die Offensive drehen und blieb bei Zweikämpfen hartnäckig am Ball, auch wenn er vom Gegner scharf attackiert wurde. Steven Gerrard, bis zum vergangenen Jahr Kapitän des FC Liverpool, ist einer, von dem man mehr wissen will. Das war wohl auch das Kalkül des Verlagshauses Trinity Mirror, als man sich entschied, eine interaktive Zeitung zu testen: Im „Liverpool Echo“, einem Regionalblatt, konnten die Leser über die Berührung einer bestimmten Fläche ein Video auf ihr Smartphone holen, in dem Fußballheld Gerrard seine größten Karriereerfolge zeigt.
Automatisch auf dem Smartphone
Das Forschungsprojekt, das Trinity Mirror gemeinsam mit einem Forscherteam der Universität von Central Lancashire aufsetzte, heißt EKKO und soll gedruckte Inhalte auf den Mobilgeräten der Leser erweitern. Der Zeitungleser drückt dabei einen mit induktiver Farbe gedruckten Sensor auf der Zeitungsseite. Bei Berührung verbindet sich die gedruckte Seite mit einem netzbasierten Content Management System und einem Analyse-Tool. Auf einer eigenen App auf dem Smartphone des Users wird dann eine Audio- oder Videodatei gestartet. Die Inhalte sind dabei dynamisch: Wechselt der Verlag die Audiodatei aus, wird das EKKO-Interface auf der gedruckten Seite automatisch aktualisiert.
Neben der Informationsvermittlung von Nachrichten ist es den englischen Forschern wichtig, eine Veröffentlichungsplattform zu realisieren, die echten Datenaustausch zwischen Papier und digitalem CMS gewährleistet. Die Kluft zwischen physikalischen und digitalen Informationen soll geschlossen, die Medienbrücke stabilisiert werden. Die Forscher wollen Erkenntnis erlangen, welche analytischen Daten aus Print abgeleitet und welche Nutzerdaten Verleger interessieren könnten. Die Userinformationen, die EKKO sammeln kann, beinhalten den Namen der Publikation sowie den Ort und die Nutzungsdauer. Außerdem werden die Klickzahlen und die zeitliche Nutzung der Audio- oder Videodateien aufgezeichnet.
Ohne Zwischentechnologie
Nun ist EKKO nicht der erste Versuch, interaktive Features in der Zeitung zu etablieren. Wo liegt die Einmaligkeit von EKKO, verglichen mit beispielsweise einem NFC-Chip? „Die Kosten sind bei NFC geringer“, gibt John Mills von der Universität Central Lancashire zu. „Aber der NFC-Vorgang erlaubt keine vergleichbare Interaktionserfahrung mit dem Druck selbst. Das Schöne an EKKO ist, dass Menschen direkt mit dem Druckerzeugnis interagieren und kein Gerät diese Erfahrung unterbricht.“ Mills fährt fort: „Ein Schlüsselelement von EKKO ist die Möglichkeit, Wechselwirkungen zu erfassen und zugleich Daten oder Informationen vom Papier zu empfangen oder an das Papier zu senden. Das verankert Papier potenziell im Internet der Dinge. Unser verbundenes Content-Management-System mit seiner Schnittstelle ermöglicht es Nutzern, Papier mit Audio oder extrahierten Daten zu füllen.“
Nicht nur in der Zeitung
„Das EKKO-Projekt wurde immer als kommerziell orientierte Forschung und Entwicklung angesehen“, erklärt Mills über die Technologie im Prototypen-Status. Eine Herausforderung bleibt die leitfähige Tinte. Sie muss robuster werden, um in der realen Umwelt zu bestehen. Dann kann sie eine nahtlose Infrastruktur aus interaktiven Seiten und dem CMS des Verlegers schaffen. Mills weiß auch, dass EKKO als Marketingtool Marktchancen hat: „Andere Unternehmen, die leitfähige Tinten erkunden, konzentrieren sich auf das Point-of-Sale-Marketing oder interaktive Broschüren. Auch wir sind daran interessiert, wie digitale Interaktion über eine Papier-Schnittstelle in einem breiten Spektrum von Branchen genutzt werden könnte. Zum Beispiel im Gesundheitswesen. Hier scheint es attraktive Möglichkeiten zu geben, etwa bei der Entwicklung von mit dem Web verbundenen pharmazeutischen Verpackungen.“
Mit dem Einsatz in der Zeitung aber sind die Forscher technisch am weitesten. Jetzt fehlt nur noch eines. Die Balance zwischen Kosten und Nutzen. Für Verlag und Leser.
Ingo Woelk
(4c Printausgabe 2/2016)