Zeitungsmarkt
30.03.2017 10:32
Die Lösung, die zum Problem wurde
Eine US-amerikanische Journalismus-Professorin behauptet in einer Studie Spektakuläres: dass Regionalzeitungen mit ihrer Konzentration auf einen Ausbau ihrer digitalen Auftritte zwar Print-Leser vergrätzt, aber kaum Online-Leser dazu gewonnen hätten.
Zeitungsstand in den USA: Die Ausdünnung der Printausgaben hat zwar zu einem Leserschwund geführt, online konnten die Zeitungen den aber auch nicht auffangen. © O`Neil / Wikimedia Studienautorin Iris Chyi: „Mein Vorschlag wäre, die Idee einer komplett digitalen Zukunft der Zeitung aufzugeben.“ © Iris Chyi Der Report von WAN-Ifra und 4c: Drei Exemplare verlosen wir an 4c-Leser. © WAN Ifra Zeitungsständer in Houston, Texas: Die Zeitungen konnten bisher von ihren digitalen Auftritten nicht profitieren, haben aber ihre Print-Leser enttäuscht. © Bittner
Iris Chyi hat Unerhörtes getan. Mit ihrer jüngsten Studie hat die Journalismus-Professorin der Universität Austin in Texas schlicht jene kuschelige Diskurs-Blase perforiert, in der es sich weite Teile der Medienszene in den letzten Jahren gemütlich gemacht haben. Diese Diskurs-Blase war bisher mit einer These möbliert, die gerne variiert und diskutiert wurde, aber kaum je grundsätzlich hinterfragt: dass Zeitungen den Verlust an Reichweite bei den gedruckten Ausgaben unbedingt durch verstärkte Bemühungen im Web zu kompensieren in der Lage wären, dass deshalb Ressourcen von Print nach Online verschoben werden müssten – mit allen Konsequenzen für die Printausgaben.
Die Idee funktioniert nicht
Iris Chyi hat sich des Themas angenommen und lange die Reichweiten-Entwicklung amerikanischer Regionalzeitungen untersucht. Ihr Befund: die These, dass Leser sich zwar von den Printausgaben abwenden, dafür aber den Online-Auftritten der jeweiligen Zeitungen zuwenden, ist so nicht länger haltbar. Vielmehr stimmt: die Leser wenden sich zwar von den Printausgaben ab, aber nicht den Online-Ausgaben zu, sondern verschwinden aus dem Markenkreis ihrer ehemaligen Zeitung und decken ihren Nachrichtenkonsum bei großen News-Aggregatoren oder auf Social Media-Plattformen. „Mein Vorschlag wäre, die Idee einer komplett digitalen Zukunft der Zeitung aufzugeben und die Ressourcen, die Verlage heute noch haben, weise einzusetzen.“, sagt Iris Chyi gegenüber 4c.
Viel verloren, nichts gewonnen
Die Studie, die nun – aktualisiert und erweitert durch Reaktionen aus der europäischen und asiatischen Zeitungsbranche im Report „Print-Online Performance Gap“ des Weltzeitungsverbandes WAN-Ifra und 4c erschienen ist – zeichnet ein schauderhaftes Bild der Performance amerikanischer Regionalzeitungen. Die Reichweite der Printausgaben der untersuchten 51 Zeitungen ist zwischen 2007 und 2015 von 42,7 auf 28,8 Prozent gefallen. Die Online-Reichweite der Zeitungswebsites ist aber in dem gleichen Zeitraum stagniert, sie stieg nur von 9,8 auf 10 Prozent. „Ich glaube also nicht, dass die Leser das Printprodukt zugunsten der Websites der Zeitungen aufgegeben haben“, so Chyi. Es sind andere, die vom Niedergang der Printausgaben profitieren.
Steakhouse und McDonalds
Was den US-Regionalzeitungen also passiert, ist vergleichbar mit einem ärztlichen Kunstfehler, bei dem der Patient, der wegen einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus kommt, mit einem Bein weniger aus der OP-Narkose aufwacht. Die US-Zeitungen jedenfalls haben ihr wichtigstes Standbein, so die Diagnose von Iris Chyi, jedenfalls vernachlässigt und dabei Wesentliches übersehen: „Die Leserschaft fast aller dieser Zeitungstitel ist geografisch auf ein bestimmtes Gebiet limitiert. Nur wenige dieser Titel haben irgendeine internationale Sichtbarkeit oder Leserschaft. Wenn diese Regionalblätter online gehen, müssen sie, um erfolgreich zu sein, plötzlich mit internationalen Giganten wie Facebook konkurrieren. Das ist wie ein lokales Steakhouse, das sich mit McDonalds anlegen will“, meint Chyi. Dazu kämen fehlende digitale Kompetenz in den meisten Zeitungshäusern und dementsprechend schwache Webauftritte. „Unsere Studie hat ergeben, dass im Verbreitungsgebiet der meisten Zeitungen wesentlich mehr Leser sich für die Printausgaben entscheiden als für die Online-Auftritte“, sagt Chyi.
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Versprechungen
Mario Lauer, Marketingchef der „Süddeutschen Zeitung“ und einer der elf Experten, denen die Studie von Chyi vorgelegt wurde, meint im nun erschienenen Report von WAN-Ifra und 4c: „Das Printprodukt ist das wichtigste Element im Produktportfolio einer Tageszeitung und das wird in absehbarer Zukunft auch so bleiben“. Hermann Petz, Chef der Moser Holding und damit Herausgeber der „Tiroler Tageszeitung“ sieht die Vernachlässigung des Printprodukts ebenfalls kritisch: „Leider haben vor einigen Jahren die Marketingleute die Kontrolle im digitalen Bereich übernommen und Versprechungen gemacht, die noch immer nicht eingelöst wurden. Für eine gewisse Zeit hat das die Stärken von Print übertönt“, sagt Petz im Report.
Paywall-Enttäuschungen
Thomas Hofbauer, Digitalchef der „Salzburger Nachrichten“, verortet Fehler, wie sie in den USA begangen wurden, jedenfalls in Österreich nicht. „Die These, dass regionale Zeitungen mit ihrem Engagement im digitalen Bereich ihr Printprodukt vernachlässigten, sehe ich in Österreich und vor allem für uns nicht bestätigt. Viel eher sehen wir, dass wir durch die Zusammenlegung von Print und Online einen zusätzlichen Impuls für eine noch bessere und integrierte Regionalberichterstattung gegeben haben“.
Eine dicke, undurchlässige Paywall betreiben die „Salzburger Nachrichten“ übrigens nicht, nur einige wenige Artikel sind bei dem Blatt online kostenpflichtig. Das, so würde Iris Chyi behaupten, ist vielleicht auch besser so, denn mit der Zahlungsbereitschaft für regionale Themen sieht es bei den von ihr begutachteten Zeitungen nicht rasend gut aus: „Die Paywalls haben nicht gut funktioniert. Vielleicht waren die Zeitungen auch zu spät dran damit. Außerdem gibt es online einfach ein Überangebot an Nachrichten und Entertainment. Der einzige Effekt, den eine Paywall haben kann, ist, die Exklusivität von Print-Inhalten online zu bewahren“.
Mittlerweile tourt Iris Chyi mit ihrer Studie durch die USA, kürzlich hat die „New York Times“ sie eingeladen, ihre Erkenntnisse zu diskutieren. „Die Realität zu akzeptieren“, sagt Chyi, „ist der erste Schritt, unsere Industrie zu retten“. Deshalb “ sollten sich die Verlage ganz ehrlich ihre Performance in den letzten 20 Jahren ansehen und dann jenes Produkt prioritär behandeln, das ihre Leser bevorzugen. Und das ist unserer Studie nach eben die gedruckte Zeitung“. Unerhört.
David Hell, Martin Schwarz
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