Zeitungsmarkt
18.09.2017 08:45
Zeitung für nebenan
Mit stark lokalisierten und teilweise gar personalisierten Inhalten versuchen manche gedruckte Zeitungen, dem beliebigen Nachrichtenstrom aus dem World Wide Web etwas entgegenzusetzen. Dass es dafür einen Markt gibt, zeigen drei Projekte aus den USA, aus Italien und Frankreich.
Hier könnte Ihre Zeitung drin sein: Selbst in den USA, wo Onlinemedien der gedruckten Zeitung schwerer zusetzen als in Europa, versuchen sich lokale Verlage an neuen Printtiteln. © Fotolia
Schon erstaunlich, was in der Zeitungsindustrie heute als erstaunlich wahrgenommen wird. Wenn heute tausende Kilometer von Europa entfernt eine Zeitungsdruckerei eröffnet wird, bleibt das selbst im deutschsprachigen Raum nicht unbemerkt: „In Texas hat letztes Jahr sogar ein Verlag eine vollkommen neue Zeitungsdruckerei gebaut. Das an sich ist schon sehr ungewöhnlich. Nun ist deren Zielrichtung auch nicht die große Auflage, sie wollen viele kleine regionale Zeitungen drucken. Dort sehen sie die größte Zukunft“, erzählt Manfred Werfel, stellvertretender Chef des Weltzeitungsverbandes WAN-Ifra gegenüber 4c. Die lokale Zeitung, so hoffen es jedenfalls manche Verlage, könnte eine neue Chance haben in einer Medienwirklichkeit, in der man aus dem Web möglicherweise schneller erfährt, was im Weißen Haus gerade passiert als was im Rathaus der eigenen Stadt geschieht. „Gerade wird die lokale Zeitung wiederentdeckt. Es gibt ganz offensichtlich Bedarf von der Leserschaft und ebenso von Anzeigenkunden. Eine ganze Reihe lokaler Zeitungen sind etwa in England wieder neu aufgelegt worden“, erklärt Werfel.
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Nicht alle Abonnenten sind gleich
Um die Bedürfnisse der Leserschaft nach maßgeschneiderten Inhalten zu erfüllen, experimentieren regionale Verlage derzeit auch mit dem Digitaldruck: Dafür gibt es mit „Il Piccolo“ ein gutes Beispiel. Die italienische Wochenzeitung mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren berichtet hauptsächlich über lokale Belange. „Rund 1.000 Abonnenten haben die Möglichkeit, zusätzliche Seiten hinzuzufügen. Während also alle Leser beispielsweise 48 Seiten haben, bekommen Abonnenten 52 Seiten“, erklärt Dario De Cian, Geschäfsführer der Zeitungsdruckerei Centro Stampa Quotidiani in Erbusco, die eben auch „Il Piccolo“ produziert. Die Inhalte werden aus acht verschiedene Rubriken wie zum Beispiel Essen, Garten, Gesundheit und Wellness auf Wunsch des Lesers zusammengestellt. Jeder neue Abonnent kann sich beim Abokauf im Web für das eine oder andere Thema registrieren. „Das ist ein großer Vorteil für den Leser, der eine Seite bekommt, die für ihn absolut interessant ist. Aber es ist auch ein großer Vorteil für den Inserenten, der sicher sein kann, dass seine Botschaft einen Menschen erreicht, der tatsächlich Interesse am Inhalt hat. So können in der Rubrik Essen nicht nur Lebensmittel und Kochzubehör beworben werden, es lohnt sich auch für das Restaurant um die Ecke, dort Werbung zu schalten“, erklärt De Cian.
Bestellung per Formular
Ein anderes Beispiel kommt aus Frankreich: „Anfang dieses Jahres hatte ich die Gelegenheit, den französischen Verlag Sogemedia zu besuchen. Sogemedia ist ein relativ kleiner Verlag, im Ausland überhaupt nicht bekannt, der sich auf hyperlokale Zeitungen spezialisiert hat. Weit außerhalb von Paris, in der Nähe der belgischen Grenze, kaufen die Inhaber Wochenzeitungen auf, deren Einzugsgebiet vielleicht nur einige Dörfer umfasst und lokalisieren diese Zeitungen noch weiter. Eine dieser Zeitungen, die eine Auflage von 8.000 Exemplaren hatte, ist kürzlich noch auf elf verschiedene lokale Ausgaben aufgeteilt worden“, erzählt Manfred Werfel. Gedruckt wird mit einer Kodak Prosper 6000.
In jeder Zeitung von Sogemedie kann der Leser auf einem Formular ankreuzen, welchen Themenschwerpunkt man zukünftig in der Zeitung haben möchte. Die einen wollen vielleicht keinen Sport, aber regionale Nachrichten, die anderen interessieren sich hauptsächlich für Kultur. Es gibt vier verschiedene Content-Pakete auf der Basis dieser hyperlokalen Ausgabe. „Das ist ein Beispiel für eine extrem weit fortgeschrittene Personalisierung der Zeitung“, kommentiert Manfred Werfel.
Garantiert scheitern
Nirgends aber geht die Individualisierung so weit, dass jeder einzelne Leser sich seine Inhalte vollständig konfektionieren kann. Eine wirklich personalisierte Zeitung scheitert an der Performance. „Wenn die Auflage 2.000 Exemplare überschreitet, dann dauert es einfach zu lange, sie digital zu drucken. Was ich als Möglichkeit sehe, ist die hybride Produktion. Eine Zeitung kann einen allgemeinen Teil haben, der kombiniert wird mit einem kleineren, personalisierten. In diesem Fall muss man eine gute Sortieranlage haben. Es ist also gar nicht so einfach. Man braucht schon eine industrielle Struktur, um so etwas auf die Beine zu stellen“, so Dario De Cian.
Mit Citizen Journalism und nicht zeitkritischen Inhalten, die nicht aktuell produziert werden müssen, lassen sich Inhalte günstig produzieren und dem allgemeinen Teil der Zeitung hinzufügen. „Aus der Sicht des Verlags ist es nicht zu teuer, den zusätzlichen Inhalt zu produzieren“, so Dario De Cian. „Die Redakteure können Freiräume nutzen, die sie sicherlich in der Redaktion haben, um diese Seiten zu erstellen. Die Leser finden es gut und für uns ist es gut, weil unsere Kunden ein Tool zur Verfügung haben, das sie in die Lage versetzt, mehr Anzeigen zu gewinnen. Dann werden sie auch unsere Rechnung zahlen können und weiterhin ihre Offsetprodukte bei uns drucken lassen“, erzählt De Cian von den vielen schönen Effekten dieser Strategie.
Texanische Größe
Natürlich müssen sich sowohl Sogemedia als auch Il Piccolo erst über die Jahre hinweg beweisen. „Das jetzt schon als einen stabilen Trend zu bezeichnen, würde ich mich nicht trauen. Aber man registriert schon deutlich die Wiederentdeckung der lokalen Presse“, so Manfred Werfel.
Community Impact Newspapers, jener texanische Verlag, der erst 2016 eine neue Zeitungsdruckerei mit einer Goss Magnum als Kern-Equipment in Betrieb genommen hat, wächst immerhin seit seiner Gründung im Jahr 2005 stabil: begonnen hatten die Gründer John und Jeniffer Garrett mit drei Mitarbeitern und einer Zeitung. Mittlerweile beschäftigt das Paar mehr als 180 Mitarbeiter und gibt 23 hyperlokale Zeitungen in Texas heraus.
Anja Schlimbach
(4c Printausgabe 5/2017)
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