Kochstudio

16.12.2013 11:59

Entkernt

Auf der Suche nach Rendite haben Verlage neues Sparpotenzial ausgemacht: die Lokalredaktionen. Schneller kann man die gedruckte Zeitung nicht umbringen.

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Der Effekt: Wenn die Lokalteile abgedreht werden, wenden sich die Leser von ihrer Zeitung ab. © Fotolia

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Wenn man die Menschen fragt, warum sie Zeitung lesen, nennen sie an erster Stelle die lokalen Inhalte. Dazu bedarf es keiner Marktforschung, denn die Menschen besitzen ein starkes Heimatgefühl, und es ist die Zeitung, die sie täglich mit ihrer Heimat verbindet. Damit ist nicht nur die Stadt gemeint, sondern auch der Stadtteil, in dem die Menschen leben: „Sublokaler Sozialraum“ heißt der Fachterminus.

Dass dies den Erfolg der lokalen Tageszeitung begründet – und sie von allen anderen Medien unterscheidet –, sollte niemand besser wissen als die Verleger selbst. Dass nun die Auflagen der Zeitungen leicht und die Anzeigenerlöse etwas stärker sinken, bringt sie jedoch in Zugzwang.

Ein perfider Plan

Da es den Verlegern offenbar weniger um die Erhaltung ihrer Zeitungen, sondern um die Renditen geht, haben sie einen perfiden Plan entworfen: Sie geben ihre lokale Redaktion auf. Sie bestrahlen sie wie eine kranke Krebszelle, die dringend am weiteren Wuchern gehindert werden muss.

Zu Jahresbeginn schloss die WAZ die gesamte Redaktion der Westfälischen Rundschau in Dortmund. Seither erscheint sie mit extern zugelieferter Redaktion weiter – als erste deutsche Zeitung ohne eigene Mitarbeiter. Als die FAZ die Frankfurter Rundschau übernahm, entließ sie sämtliche Redakteure im Frankfurter Umland. Und als wiederum die Funke-Gruppe (WAZ) Berliner Morgenpost und Hamburger Abendblatt aus dem Springer-Portfolio übernahm, hieß es erwartungsgemäß: „Wir müssen unsere Kräfte bündeln.“

Der Oktober erwies sich als besonders morbider Monat für die Printmedien. Zunächst entkernte und schloss die Funke-Gruppe weitere Lokalausgaben, wovon diesmal Castrop-Rauxel und Dorsten betroffen waren. DWDL.de schrieb dazu, die Funke-Gruppe sei „wieder bei ihren üblichen Streich- und Sparmeldungen angekommen“. Bissig kommentierte man die Einrichtung eines zentralen „Content-Desk“: Mit der von Funke behaupteten Erhaltung der Medienvielfalt vor Ort seien „wohl kaum die regionalen Inhalte“ gemeint.

Längst existiert ein Blog namens „Zeitungssterben“ http://zeitungssterben.wordpress.com/, der sich wundert, dass Funke überhaupt noch Lokalredaktionen übrig hat, die man streichen kann. Und weiter geht’s: Madsack droht, die Mantelredaktion der Oberhessischen Presse zu schließen, und verursacht damit einen fulminanten Streit mit der Gewerkschaft ver.di.

Null Bock auf Redaktion

Vom gleichen Fieber lassen sich nun auch die Zeitschriftenverlage anstecken. Die Nachricht, dass Gruner + Jahr einen Großteil der Münchener Redaktion nach Hamburg holen wird, löste einen Proteststurm aus. Von der vor drei Jahren missglückten Zusammenlegung der Kölner Capital- und Impulse-Redaktionen in Hamburg hat man offenbar nichts gelernt. Dass die meisten Redakteure erneut nicht mitmachen wollen, dürfte der Verlagsleitung gleichgültig sein. Denn G+J-Vorstand Jäkel meinte auf dem Publisher’s Summit: „Content is king ist dummes Gerede.“

Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht, lautet ein altes Sprichwort. Noch mehr kommen einem die Verleger jedoch vor wie jemand, der eine kranke Hand hat – aber stattdessen die gesunde abschlägt.

Es sind keinesfalls die Leser, die sich von Zeitungen und Zeitschriften abwenden, es sind die Verleger selbst. Und dort, wo es längst keine Verleger mehr gibt, sind es Vorstände und Geschäftsführer. Sie hinterlassen mit dem Abbau der Redaktionen eine Medienlandschaft, von der sich die Leser definitiv abwenden werden.

Wenn das die „Hidden Agenda“ ist, darf man Print gratulieren – zu einem selbst herbeigeführten Untergang nach Maß.

Thomas Koch*

* Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, Herausgeber von „Clap“ und Media-Persönlichkeit des Jahres, schreibt hier regelmäßig über die Zukunft von Print.

(4c Printausgabe Deutschland 8/2013)

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