Kochstudio

10.06.2014 12:31

Nicht nur die Zeit läuft davon

Verleger oszillieren in ihren Überlegungen derzeit vor allem zwischen technologischen Möglichkeiten, neue Erlöswege zu beschreiten. Den Lesern ist das aber egal. Sie laufen über zu neuen inhaltlichen Angeboten.

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Leser schlagen so manch unvorhersehbaren Haken bei der Flucht vor traditionellen Angeboten der Zeitungen. © Fotolia.de

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Die Zeitungen tun sich mit diesem neuen Internet noch arg schwer. Und zwar seit zwanzig Jahren. Aber so langsam geht es ihnen an den Kragen. Genau genommen, an ihr Geschäftsmodell. Die grandiose Idee, ihre Inhalte im Internet kostenlos feilzubieten und trotzdem noch für die Printausgabe Geld verlangen zu wollen, hat inzwischen der letzte Leser durchschaut.

Eine halbe Million verkaufter E-Paper und die jüngste Paywall-Bilanz der Regionalverlage, die da lautete „Wir ertrinken nicht in Geld“, täuschen nicht darüber hinweg, dass die Zeitungen absolut keine Lösung für sinkende Print-Erlöse und geradezu mikroskopische Online-Erlöse gefunden haben. Paid Content will mit ein paar leuchtenden Ausnahmen auch nicht so recht greifen.

Die Leser laufen davon

Dabei ist das Dilemma doch schon lange identifiziert. Das eigentliche Problem der Zeitung liegt weder am Papier, noch am Internet. Wolfgang Blau, der als Chefredakteur von Zeit Online im vergangenen Jahr zum britischen Guardian wechselte, brachte es bei Twitter auf den Punkt: „Die Zeitungsleser laufen keinesfalls vor dem Papier davon, sondern vor dem Zeitungs-Journalismus.“  Aua! Und der angesehene TV-Journalist und Blogger Richard Gutjahr fasste es ähnlich zusammen: „Das Problem ist nicht das Internet, nicht das Publikum – das Problem ist das Produkt.“

Diese Erkenntnis tut weh. Vor allem, wenn man sich in die Rolle des Verlegers begibt, dessen Geschäftsmodell gerade davon schwimmt.

Die neuen Verleger

Es ist aber gottseidank nur die Zeitung selbst, die neu erfunden werden muss. Und erfreulicherweise sind redliche Bemühungen erkennbar. Letztes Jahr war es der Spiegel-Journalist Cordt Schnibben, der das viel beachtete Zeitungsprojekt „Der Abend“ und eine lebhafte Debatte über die Zeitung der Zukunft ins Leben rief. Am 10. Oktober 2013 startete die erste deutsche Ausgabe der Huffington Post, die sich rühmt, inzwischen über 1.000 Blogger für HuffPostDE gewonnen zu haben.

In diesen Tagen erleben wir mit „Krautreporter“ das erste tägliche Magazin-Projekt, das sich alleine aus Crowdfunding finanzieren und komplett auf Werbung verzichten will. Die Krautreporter benötigen dazu 15.000 Abonnenten – und brauchten nur 24 Stunden, um die ersten 2.500 zu gewinnen.

Es geht auch ohne

Sie erkennen den Fehler? Keines dieser Projekte stammt aus dem Haus oder gar aus der Phantasie eines deutschen Zeitungsverlegers. Die basteln stattdessen weiter hilflos an ihren Zeitungen und Websites herum und feuern die Menschen, die sie für ihre Zukunft – wenn es denn für sie eine gibt – dringend benötigen: Ihre Journalisten. Die Gekündigten machen sich selbständig und gründen – wie geschehen – neue Produkte wie „Komplett“ oder das „Harburger Blatt“. Sie beweisen, dass es auch ohne die mächtigen Verleger möglich ist, begehrenswerte Medien zu etablieren. Sie beweisen auch, dass Print sehr wohl lebt.

Und so dreht sich die schmerzhafte Schraube immer tiefer ins Fleisch der Verleger. Es ist eine Schraube ohne Ende.

Die „Ich habe gesprochen“-Mentalität

Angenommen, Sie wären Verleger. Was würden Sie tun? Sie würden es doch niemals Fremden überlassen, Ihr Medium neu zu erfinden. Sie würden es selbst machen, zusammen mit Ihren eigenen Leuten (so sie denn dazu fähig und willens sind) und den kreativsten Köpfen, die Sie auftreiben können. Und? Wo bleiben Ihre Ideen? Ihre Experimente?

Die Zeit läuft den Verlegern davon. Im wahrsten Sinne des Wortes: Denn „Die Zeit“ hat längst begriffen, dass sie eine Zeitung für ihre Leser machen muss, um die Auflage zu steigern. Dass die „Ich habe gesprochen“-Mentalität der Zeitungs-Redakteure im Zeitalter von Social Media überholt ist.

Liebe Verleger: Die Zeit läuft. 

Thomas Koch

Thomas Koch, Mediaplaner, Agenturgründer, Ex-Starcom-CEO, Herausgeber von „Clap“ und Media-Persönlichkeit des Jahres, schreibt in 4c deutschland regelmäßig über die Zukunft von Print. Folgen Sie Thomas Koch auf Twitter: @ufomedia

(4c Printausgabe Deutschland 4/2014)

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