Adobe
12.03.2012 16:53
Wolkige Versprechen
Adobe steht mit der Einführung der Creative Suite 6 vor einer einschneidenden Veränderung seines Geschäftsmodells. 4c bringt die ersten Details zur Adobe-Cloud.
Noch sind nicht alle Details zum neuen Adobe-Geschäftsmodell bekannt. © esriaustralia
Noch im Frühjahr will Adobe die Creative Suite Nummer sechs auf den Markt bringen. Neben den gewohnten Updates der einzelnen Software-Titel wollen die Amerikaner dabei auch ein neues Vertriebsmodell ausprobieren. Zusätzlich zu den verschiedenen Suites, die nach wie vor auch schachtelweise verkauft werden sollen, werden die User Adobe-Programme auch mieten können.
Kern der Veränderung ist die „Creative Cloud“. Für einen fixen Monatsbetrag bekommt man nicht nur Zugang zu allen Desktop-Programmen wie Photoshop, Illustrator, InDesign und Premiere, sondern auch eine Reihe weiterer Services zur Verfügung gestellt. Alles dreht sich dabei um zwanzig Gigabyte Online-Speicherplatz, die auf dem Desktop als zusätzliches Laufwerk erscheinen. Synchronisiert wird ähnlich wie bei Dropbox laufend im Hintergrund. Zugreifen kann man auch über einen einfachen Webbrowser, auf creative.adobe.com kann man sich schon eine Vorschau zu Gemüte führen. Außerdem beinhaltet die Cloud-Mitgliedschaft Versionen für die neuen Webdesign-Tools Edge und Muse, die derzeit noch im Beta-Stadium stecken und mit CS6 ihre offizielle Taufe erleben sollen. Zum Drüberstreuen soll es auch noch eine DPS Single Edition geben – inklusive einer einmaligen Appstore-Veröffentlichung.
Adobe-Apps für den Finger
Ebenfalls direkt eingebunden werden die sechs „Touch Apps“: Die kleinen Programme fürs Tablet können direkt auf die Cloud-Daten zugreifen. Mit Photoshop Touch sind einfache Bildbearbeitungen möglich. Ebenen-Arbeiten und Freisteller funktionieren jetzt bereits mit der Fingerspitze. Die Funktionen der Kuler-App kennt man bereits von den Paletten in den Desktop-Programmen. Mit Proto lassen sich per Fingerwisch einfache Web-Entwürfe erstellen, die direkt in Dreamweaver übernommen werden können. Mit Debut kann der User auf dem Tablet mit den Cloud-Dateien Präsentationen im Powerpoint-Stil anlegen. Collage ist eine Brainstorming-App, die Foto- und Vektor-Elemente zu einer Layer-Datei zusammenfügen kann, Weiterverarbeitung in den Desktop-Apps inklusive. Die Vektor-Scribble-App Ideas gibt es bereits länger im Appstore, neu ist nur ihre Einbindung in die Creative Cloud. Für Android sind alle Apps bereits jetzt verfügbar, die zum Teil noch fehlenden iOS-Versionen sollen spätestens zum CS6-Start nachgeliefert werden.
Gemietet werden kann wahlweise die ganze Suite oder nur ein einzelnes Programm, jeweils monats- oder jahresweise. Einmal monatlich überprüfen installierte Desktop-Programme ihre Lizenz. Also muss man mindestens einmal im Monat im Internet sein, sonst verweigert die CS6 den Dienst. Optional kann der Speicherplatz erweitert werden. Und wer in Webdesign macht, kann seinen Service um ein Webhosting samt Traffic-Analyse erweitern. Apropos Webdesign: Das erst kürzlich erworbene Typekit soll ebenfalls ein optionales Cloud-Paket werden.
In der ersten Iteration wird die Cloud-Infrastruktur aller Voraussicht nach exklusiv von Adobe angeboten werden. Für mittelgroße Projekte kann es aber sinnvoll sein, die Adobe-Server durch die hauseigene Cloud zu ersetzen. Bei Adobe weiß man um den Bedarf: Die häufigste Wunsch der Beta-Tester soll die Option auf die eigenen Server gewesen sein.
Facebook für Kreative
Die Adobe-Umstellung geht aber noch tiefer. Fast alle bestehenden Online-Services sollen im Laufe von 2012 umgebaut und auf das neue Geschäftsmodell ausgerichtet werden. Universelle Eintrittskarte in die schöne neue Adobe-Welt wird die Adobe-ID. Zusätzlich sollen die bereits bestehenden Foren zur „Creative Community“ ausgebaut werden, einer Art Facebook für Adobe-User. Über die Community soll dann auch Training und Support gebündelt werden.
In die Cloud müssen laufend Gigabytes verschoben werden. Das stellt große Ansprüche an die Netzinfrastruktur. Adobe hält sich noch bedeckt, wie die Performance der Cloud gewährleistet werden soll. Laut Gerüchten dürfte Amazon dahinterstecken. Das scheint schon deshalb logisch, weil die beiden Branchenriesen bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet haben. Das letzte Nadelöhr, so spekuliert man bei Adobe, wird dann die Upload-Rate des Kunden sein.
Auch eine rechtliche Schranke fällt durch das Abonnement-System weg: Weil Lieferung und Verrechnung eines Produktes nach US-Börsenrecht nicht beliebig auseinander gezogen werden dürfen, konnte Adobe nur Bugfixes kostenlos anbieten. Neue Features konstituieren ein neues Produkt und durften bestenfalls als Addon nachgeschoben werden, aber nicht als Teil eines Produkt-Updates. Weil jetzt für einen Service eine laufende Mietgebühr gezahlt wird, fällt die Adobe-Cloud aus dieser Regelung heraus. Der User hat auf Wunsch immer Zugriff auf die neueste Version aller Produkte. Erweiterungen können leichter hinzugefügt werden, vielleicht ringt sich Adobe dereinst auch noch zum Opensource-Ethos „release early, release often“ durch. Die Tür zu kleineren und häufigeren Update-Zyklen steht damit jedenfalls offen. Das wird aber auch heißen, dass Cloud-User früher in den Genuss neuer Features kommen werden.
Kostenspekulationen
Ein Jahresabonnement für einen Einzelplatz schlägt sich mit 600 Euro zu Buche. Wie viel mehr Adobe für einzelne Monate, einzelne Programme oder Gruppenlizenzen verlangen wird, ist noch nicht bekannt. Der Jahrespreis ist aber tief genug angesetzt, um auch für Schachtelkäufer interessant zu sein. Die Produktzyklen der Creative Suite dauerten bisher immer rund zwei Jahre. Für den Preis von 1.200 Euro bekommt man also eine komplette aktuelle Master Collection samt der zusätzlichen Cloud-Services. Mit den Upgrade-Preisen kann das zwar nicht konkurrieren. Für größere Produktionen kann es aber ein wesentlicher Vorteil sein, zusätzliche Lizenzen vorübergehend dazuzukaufen. Zusätzliches Zuckerl: Die Cloud-Lizenz ist plattformunabhängig. Wer von Windows zu Mac oder wieder zurück wechselt, muss sich keine neue CS mehr kaufen. Und wenn ein Grafiker ein Sabbatical einlegt, erspart er sich die Miete für das Jahr.
Ganz der Sprung ins kalte Wasser wird die Umstellung aber trotzdem nicht: Die bisherigen Creative-Suite-Boxen bleiben vorläufig bestehen. Aber wer weiß, wenn die Adobe-Cloud ein durchschlagender Erfolg wird, wird Adobe mit der CS7 vielleicht zur reinen Online-Firma.