Weiterverarbeitung

15.12.2015 13:25

Guter Schnitt

Viele Gelegenheiten hat ein Mailing ja nicht, vom Empfänger auch richtig wahrgenommen zu werden. Eine kluge, einfallsreiche Weiterverarbeitung kann aber die Ignoranzschwelle deutlich erhöhen.

Mailing von Wirtz: Das Lager der Druckerei wurde mittlerweile mit rund 300.000 solcher Mailing-Proben bestückt. © Beigestellt

Aus dem Archiv Ein guter Schnitt Abgeflacht Entscheidung in Sekunden Die schnellen Jobs Klimaneutrale Weiterverarbeitung bei Bösmüller Blockdenken Die Cinderella-Story der Weiterverarbeitung

Lagerhaltung ist Luxus. Bei Wirtz Druck im deutschen Datteln gilt das gleich mal doppelt. Der Dienstleister hat ein beeindruckendes Archiv an Mailings angelegt, das die wertvollen Konstruktionen des Mailing-Spezialisten physisch speichert. „Wir haben ein Mailinglager mit 300.000 Stück, sortiert nach Thema, Branche und Anlass. Von jedem Mailing, das wir produzieren, werden automatisch 300 Muster mithergestellt. Hinter einem Code, der per Etikett auf diese Mailings aufgebracht wird, verbirgt sich das entsprechende Template, eine offene InDesign-Datei, die wir unseren Kunden für ihr eigenes Artwork zur Verfügung stellen. Auf diese Weise können die Kunden selbst bei den kompliziertesten Produkten ganz einfach ihre Konzeption übertragen“, erklärt Wirtz-Geschäftsführer Vinzenz Schmidt. „Bevor wir unsere potenziellen Kunden besuchen, packen wir den Koffer der geistigen Brandstiftung, der individuell auf diesen Kunden und seine Bedürfnisse zusammengestellt wird. Wir haben Beispiele, die zu bestimmten Anlässen, für bestimmte Zielgruppen oder zur jeweiligen Branche passen. Damit inspirieren wir den Kunden.“

Wertzuwachs

Gerade die Weiterverarbeitung ist jene Komponente bei solchen Mailings, die eine wertsteigernde Wirkung entfalten kann, glaubt jedenfalls André Kern, Geschäftsführer der saarländischen Druckerei Kern. „Unser Erfolg basiert mit darauf, dass wir uns in den letzten 15 Jahren auf spezielle Weiterverarbeitung konzentriert haben und abseits vom Standard Mehrwerte bieten; ob es nun Leporellos sind, das Aufspenden von Duftproben oder das Laserschneiden für feinste Konturen und Silhouetten“, sagt Kern. „Jetzt haben wir zum Beispiel ein Mailing in Form eines Eisbällchens versendet. Die Falzung lief schräg, sodass sie die Eistüte abbildete. Es gibt aber auch Mailings in Form eines Kreuzes, das sind beinahe schon Klassiker. Dort kann man dann noch weitere Dinge einlegen oder aufspenden. Und das Ganze wird dann auch noch im Inkjetdruck individualisiert.“

Bei Wirtz haben die Mailing-Spezialisten in den letzten Monaten viel Zeit darauf verwendet, sich mit Schub und Zug zu befassen und Schubertaschen entwickelt, bei denen man den Inhalt entweder herausziehen kann oder verborgene Inhalte sieht, wenn der Schieber verhakt.

„Solche Schuberhüllen fertigen wir zu 100 Prozent maschinell inline“, erklärt Vinzenz Schmidt. „Das Besondere ist die von uns erfundene Schubernase. Sie verhindert wirksam, dass der Inhalt in den Postmaschinen herausfällt, der Kunde ihn aber trotzdem leicht herausziehen kann.“

Früh eingebunden

Wenn das Mailing vom Standard abweicht, ist auch der Kunde bereit, eng mit einem Dienstleister zusammenzuarbeiten. „Wir sind immer am erfolgreichsten, wenn wir unsere Produkte bei Agenturen und deren Kunden parallel vorstellen und wir rechtzeitig mit ins Briefing eingebunden werden. Manchmal lassen sich kreative Dinge produktionstechnisch nur schwer umsetzen. Wenn wir eine solche Gestaltung bekommen, wollen die Kreativen nicht noch einmal mit dem Kunden sprechen und ihm eine günstigere Alternative anbieten. Der Kunde hat die Freigabe erteilt und so soll nun produziert werden. Wenn wir rechtzeitig eingebunden werden, hilft es bei der Ideenfindung und tut auch dem Geldbeutel gut“, kommentiert Vinzenz Schmidt.

So wurde zum Beispiel gerade ein Mailing verschickt, in dem ein Coupon integriert wurde. Normalerweise wird so etwas perforiert, damit der Coupon später gut herausgetrennt werden kann. Doch damit ist die Gefahr groß, dass die Karte selbst zerreißt.

„Niemand hat Lust, in das Gesicht der Kassiererin im Supermarkt zu schauen, die erklärt, dass der Gutschein nun leider ungültig ist. Wir haben deshalb nur fünf Millimeter gestanzt, dann drei leichte Haltepunkte angebracht. Die Ecken sind wieder gestanzt und unten befindet sich eine Mikroperforation. So wird diese Karte auch durch die Postmaschine nicht zerstört. Das ist Mailingliebe bis zum Detail. Und Mailingliebe haben wir uns auch als Marke eintragen lassen“, skizziert Schmidt den Ausweg.

Kerns Kompetenz

Die Beratungsfreude gilt allerdings nur bedingt für die Weiterverarbeitung, die oft nur einen geringen Stellenwert hat. „Die Wertschöpfung liegt bei uns sicherlich zu 70 bis 75 Prozent im Bereich der Weiterverarbeitung. Man kann damit so viel erreichen“, ergänzt André Kern.

Herstellerwissen

Für Wirtz Druck ist der Druck selbst nur die Vorstufe für die Weiterverarbeitung. „Es ist die Weiterverarbeitung, die alles entscheidet. Deshalb profitiert diese bei uns vom allergrößten Innovationsschub. Das gilt für Anforderungen an neue Produkte, für neue Techniken und auch für Investitionen. Wir verbinden auch alle Maschinen miteinander. So können wir Produkte maschinell fertigen, von denen andere denken, dass so etwas eigentlich nur per Hand gehen kann“, erklärt Vinzenz Schmidt. So werden beispielsweise Pop-up-Mailings maschinell gefertigt.

Die Maschinenhersteller, so glaubt jedenfalls Vinzenz Schmidt, haben die Hauptrolle, die Weiterverarbeitung gerade im Mailing-Bereich spielt, noch nicht vollends erkannt. „Bevor wir unsere erste Mailingstraße vor gut zehn Jahren angeschafft haben, sind wir zu den Herstellern gegangen und haben drei Produkte vorgestellt, die wir selber verarbeiten wollten. Die wiederum haben sich ziemlich strikt an diesen drei Produkten orientiert. Man könnte also vermuten, dass sie selbst nicht wussten, was man damit wirklich machen kann. Bis heute ist es nicht so, dass uns die Hersteller inspirieren, sondern unsere Kunden und deren Anforderungen“, erzählt Vinzenz Schmidt.

Vielleicht entsteht dieser Eindruck aber weniger wegen notorischer Einfallslosigkeit der Maschinenhersteller, sondern einem teilweise zähen Markt. Selbst technologisch sehr ambitionierte Hersteller wie etwa der japanische Weiterverarbeitungsspezialist Horizon müssen manchmal gegen ein rauhes Investitionsklima argumentieren: „Immer wieder hören wir von Kunden, dass vorrangig in die Druckvorstufe und den Druck investiert werden müsse – für uns als Finishing-Spezialist eine gehörige Herausforderung“, sagt Yoshihiro Oe, bei Horizon für das Europa-Geschäft mit zuständig.

Tee spenden

Bei Wirtz dagegen wird weiter der Maschinenpark ausgebaut. „Für die Weiterverarbeitung braucht man einfach viele Maschinen, weil ja nicht jede Maschine alles kann. Wir haben beispielsweise drei verschiedene Sorten von Aufspendemaschinen, mit denen wir Broschüren, Postkarten und Flyer aufspenden können. Es gibt sogar eine Maschine, mit der man Teebeutel mit aufspendet. Wir müssen dann selbst schauen, wie man die technologischen Möglichkeiten in ein spannendes Produkt integrieren kann“, so Vinzenz Schmidt.

„Wir rennen also auf der Suche nach Neuigkeiten ständig mit offenen Augen durch den Markt. Jedes Jahr ergänzen wir unseren Maschinenpark, je nachdem, was gerade an Anforderungen auf uns zukommt“, sagt Schmidt. Das Mailinglager wird allem Anschein nach auch künftig gut bestückt sein.

Anja Schlimbach

(4c Printausgabe 6/2015)

Twitter Facebook del.icio.us digg.it
Mehr aus Druck vor 10 Stunden Alibaba und die unsichtbare Tinte 01.08.2016 14:20 Unitedprint mit Expressflat 01.08.2016 11:03 Zweifel an Deinkbarkeit nanografischer Drucke 28.07.2016 09:56 Kombinationsgabe 27.07.2016 20:41 „Das Geheimnis gehört zum Spiel“ 25.07.2016 08:42 Manroland Web eröffnet Online-Shop 20.07.2016 10:16 Drucken für die Freiheit