Kochstudio

11.01.2014 11:48

Werbers Wundertüten

Sie sind das Plus im Meer des Minus; die einzigen, die sich in der Printkrise halbwegs behaupten können: Fachzeitschriften. Doch damit das auch so bleibt, müssen sich viele von ihnen ändern. Und zwar radikal. Von Thomas Koch *

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Titel, die ihre Vertriebsqualität nicht nachweisen können, werden vom Markt verschwinden. © Fotolia

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Wie viele es in Deutschland überhaupt gibt, ist nicht ganz klar: zwischen 3.500 und 6.000 soll ihre Zahl schwanken. Fest steht dagegen: Deutschland ist der größte Fachzeitschriftenmarkt der Welt. Im digitalen Strudel des nahenden Untergangs der Printtitel dürfte, so könnte man meinen, allerdings nun ihr letztes Stündchen geschlagen haben. Oder etwa doch nicht?

Unkaputtbar 

Die Zahlen lassen darauf schließen, dass es Fachzeitschriften im Gegensatz zu anderen Mediengattungen jedenfalls geschafft haben, die grassierende Print-Fatigue des Publikums einzudämmen. Die Auflagen der 1.137 IVW-geprüften Fachtitel fielen beträchtlich von 2002 bis 2009. Doch seither sind sie stabil – zuletzt meldete IVW sogar einen leichten Anstieg der Auflagen. Und kürzlich hat eine Umfrage ergeben, dass 83 Prozent der professionellen Entscheider in Deutschland im Laufe des vergangenen Jahres eine oder mehrere Fachzeitschriften im beruflichen Kontext genutzt haben. Damit sind sie in Entscheiderkreisen die am stärksten genutzte Mediengattung.

Im Gegensatz zu “Spiegel” oder “Focus” liegen die Reichweiten der Online-Angebote der meisten Branchenmagazine aber nach wie vor deutlich unter denen der Printausgaben. Das ist entweder ein Zeichen grausig schlechter Online-Auftritte oder – wahrscheinlicher – der Hinweis auf ein eher traditionelles Leseverhalten der Entscheider im B2B-Markt. 

Online bräsig

Die Entscheider, für die substantielle Fachinformationen in ihrem beruflichen Alltag unerlässlich sind, lesen also Fachzeitschriften. Und verlassen sich dabei auf die Papierform wie eh und je. Das sind gute Nachrichten für die Verleger. Denn vor ihrer Online-Zukunft brauchen sie sich ohnehin nicht zu fürchten. Sie besitzen das, wovon alle anderen Medien träumen: Eine interaktive Community. Versäumen sie es jedoch, ihren Usern eine digitale Kommunikations-Plattform zur Verfügung zu stellen, werden es andere tun. Dann überlassen die Verleger den professionellen Bloggern und Corporate Websites, die extrem gut besucht sind, den Kommunikationsmarkt.

Bei stagnierenden Werbeetats werden sich noch viele überflüssige Titel aus dem übersättigten Markt verabschieden. Titel, die ihre Vertriebsqualität nicht nachweisen können. Titel, die nichts weiter tun, als die Pressemitteilungen der Industrie kommentarlos abzudrucken. Titel, die ihre Redaktion gegen Anzeigenaufträge verkaufen.

Tschüss, PR-Blättchen!

Dennoch wird sich immer weiter Spreu von Weizen trennen. Bei stagnierenden Werbeetats werden sich noch viele überflüssige Titel aus dem übersättigten Markt verabschieden. Titel, die ihre Vertriebsqualität nicht nachweisen können. Titel, die nichts weiter tun, als die Pressemitteilungen der Industrie kommentarlos abzudrucken. Titel, die ihre Redaktion gegen Anzeigenaufträge verkaufen. Alle Titel ohne unabhängige, kritische und glaubwürdige Redaktion. Kurzum: Titel ohne erkennbaren Charakter und ohne Mehrwert.

Aufgepasst, B2B-Werber: Solche Magazine wurden nie von ihren Empfängern genutzt, jedoch durch das B2B-Phänomen erhalten, insbesondere die Titel zu belegen, deren Redaktion entgegenkommend über das eigene Unternehmen berichtet. Das erzeugt keinerlei Werbewirkung, ist aber menschlich nachvollziehbar.

Orientierungspunkt 

Dafür ist in Zukunft kein Platz mehr. Immer mehr Werbekunden begreifen, dass professionelle Leser nicht hinters Licht zu führen sind, dass es ihren Zielgruppen ebenso geht wie ihnen selbst. Überleben werden nur die Titel, die für ihre Leser glaubwürdig und unverzichtbar sind. Weil sie eine kompetente und unabhängige Redaktion unterhalten, die Märkte transparent macht und Trends und Markt-Strömungen untersucht – und deren redaktionelle Qualitätsstandards sich an der führenden Wirtschaftspresse orientieren.

Verleger, die das beherzigen, können zum gallischen Dorf im Printmarkt werden. Allen anderen weine ich keine Träne nach. Und Sie, die Werbekunden, hoffentlich auch nicht.

 

* Thomas Koch, Mediaplaner, Agenturgründer, Ex-Starcom-CEO, Herausgeber von „Clap“ und Media-Persönlichkeit des Jahres, schreibt hier regelmäßig über die Zukunft von Print. Seine Kolumne erscheint in der Printausgabe von 4c Deutschland. Folgen Sie Thomas Koch auf Twitter: @ufomedia

(4c Printausgabe Deutschland 1/2014)

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