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17.08.2015 16:32

Vielleicht liegt es auch am Plan

Die zu Beginn des Jahres gestartete österreichische Digitalfiliale der „Neuen Zürcher Zeitung“ soll schwer „unter Plan“ liegen. Häme ist nicht angebracht. Aber vielleicht Kritik am Plan.

Irgendwo im journalistischen Gravitationsfeld zwischen dem Vielleicht und dem Wahrscheinlich bewegen sich die aktuellen Deutungen rund um den Zustand von nzz.at, dem erst kurz nach Jahresbeginn gestarteten Digitalableger der Schweizer „Neuen Zürcher Zeitung“.

Seit der „Tagesanzeiger“ in einem Blog tatsächlich alarmierende Zahlen über den scheinbar mangelnden Zuspruch der Leserschaft zu dem Paid Content-Angebot veröffentlicht hat - ohne allerdings irgendwelche Quellen für diese Informationen anzugeben – werden die Macher des Portals mit einer dicken Glasur an Häme überzogen. Das ist in diesem Fall unnötig und auch nicht fair.

Denn wenn ein Medium wie die nzz.at angeblich so sehr unter Plan liegt, wie das kolportiert wurde, kann das erstens auch am Plan und zweitens an den Umständen liegen. Dies ist der Versuch einer Kritik, die auch die medialen Verhältnisse berücksichtigt, in denen nzz.at nun einmal erscheinen muss.

1. nzz.at soll bisher nur ein Zehntel der für das erste Jahr angepeilten 10.000 zahlenden Abonnenten gewonnen haben, heißt es in der „Tagesanzeiger“-Story. Im Verhältnis zu dieser veröffentlichten Idealkalkulation wären 1.000 statt 10.000 Abonnenten tatsächlich ein Indiz dafür, dass Angebot und Nachfrage eine zu kleine Schnittmenge besäßen. Sie könnten aber – und das scheint da eher der Fall – ebenso gut ein Indiz dafür sein, dass die Idealkalkulation zu hoch gegriffen war. In einem Land ohne jegliche Paid Content-Kultur 10.000 Menschen binnen eines Jahres mit einem Angebot erreichen zu wollen, das für digital aufbereiteten Qualitätsjournalismus 14,- Euro pro Monat einzieht, ist eine wunderlich ambitionierte Vorgabe.

2. Vielleicht ist es ja nur eine Legende, aber sie hat ihre Wirkung nicht verfehlt: dem NZZ-Management in Zürich wurde zum Start der nzz.at jedenfalls unwidersprochen nachgesagt, Österreich bloß als digitales Testgelände für den Einstieg in den deutschen Markt zu nutzen. Damit hat die Zürcher Chefetage den Filialleitern in Wien ein Waterloo der öffentlichen Wahrnehmung hinterlassen oder jedenfalls zu wenig getan, um das zu entkräften. Ein Medium fernab des Heimatmarktes etablieren zu wollen, es im Marketing aufzupumpen als mediales Meisterstück, gleichzeitig aber den Eindruck zu erwecken, Wien bloß wegen des gegenüber den Aktionären besser eingrenzbaren finanziellen Risikos als Standort zu wählen, ist gerade bei einer bis dahin in Österreich noch unbekannten Mediengattung – Paid Content eben – nicht eben weise. Der Markt, in dem Fall die Leser, goutieren solch einen vorweggenommenen Vertrauensverlust vermutlich nicht. Österreich: eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält. Kennt man ja.

3. nzz.at tut sich – und das ist optisch auf der Seite sofort erkennbar – ziemlich schwer mit dieser Markenambivalenz gegenüber dem Schweizer Mutterhaus. Die Schriften auf der Seite haben nichts mit dem Original auf nzz.ch zu tun, die Navigation und die visuelle Atmosphäre der Seite ohnehin nicht. Das wäre kein Problem, wenn man bloß nachvollziehen könnte, ob das gewollt oder zufällig so ist. Insgesamt könnte der Eindruck entstehen, dass sich das Management selbst nicht so ganz sicher ist, ob nzz.at nun ein Ableger des Schweizer Mutterhauses sein soll oder doch ein eigenständiges Medienangebot, das irgendwie doch vom großen Namen NZZ  profitieren soll. Wie genau, das weiß man nun nicht. Möglicherweise ist das eines der fundamentaleren Probleme von nzz.at, aber andererseits auch keines, das man der gegenwärtigen Redaktion zum Vorwurf machen kann.

4. Nzz.at will: ja was eigentlich? Zuerst einmal: eine liberale Online-Zeitung sein. Aber die Anmutung der Navigation, diese eigentümliche Club-Bildung und die Betonung des einzelnen Autors verfestigen den Anschein, es handle sich um eine Ansammlung großteils hochwertiger Blog-Beiträge. Ein thematisches System, das es wohl geben muss, tritt da in den Hintergrund, dafür ist die Seite überladen mit Gimmicks zur Nutzung, die vielleicht kaum jemand braucht. Ein bisschen wie Krautreporter. Aber der Anspruch der nzz.at wird wohl ein anderer sein.

Nzz.at ist ein Medienangebot, das Österreich schon alleine wegen seines Muts, sich fast ausschließlich per Paid Content zu finanzieren, dringend braucht. Es ist ein Versuch, sich vom Klicktrip vieler anderer Medien zu emanzipieren und dabei so manches journalistische Kleinod zu liefern. Es kann gelingen.

Martin Schwarz 

 

 

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