Illustrattionen
15.04.2013 14:38Alles von Hand
Toulouse Lautrec und Alfons Mucha hatten es vergleichsweise einfach. Damals hieß Werbung noch Reklame und Konkurrenz von Fotoapparaten gab es nicht. Die Sättigung mit Fotos in Print-Projekten beschert nun Illustratoren wieder vollere Auftragsbücher.
Eine Operation am offenen Herzen. Eine Nierentransplantation. Eine Amputation. Nachdem Walter Grösel Hand angelegt hat, sehen auch solche doch ziemlich invasiven Eingriffe am menschlichen Körper gar nicht mehr so erschreckend aus. Denn Walter Grösel ist Illustrator, spezialisiert auf medizinische Darstellungen. Ein durchaus lohnenswertes Geschäftsfeld: „Wer will schon ein Foto von einer blutrünstigen Operation sehen. Da kommt eine Zeichnung viel angenehmer rüber. Genau bei solchen Themen hat die Fotografie einfach ihre Grenzen“, sagt Grösel.
Der Weichzeichner der harten medizinischen Realität hat in seiner Karriere schon alle Irrungen und Wirrungen des Grafik-Marktes mitgemacht: „Bis in die 90er Jahre hinein hab ich mörderisch verdient. Ich entdeckte die Technik des Luftpinsels, damals sehr en vogue. Dann wurden die Jobs allerdings rarer und ich stürzte mich auf die Fotografie, experimentierte am Computer mit Zeichungen und Fotos. Heute wird eine Illustration aus allen Disziplinen zusammen gemixt, die Kreativen haben wieder gut zu tun“, sagt er.
Keine Artbuyer mehr
Grösels Einschätzung, dass Illustrationen nun wieder langsam aus der Peripherie des Kreativmarktes in dessen Zentrum rücken, kann seine Hamburger Kollegin Margarethe Hubauer bedingt teilen. Hubauer, in den 80er Jahren berühmt geworden, meint bemerkt zu haben, dass Gezeichnetes nicht mehr die tragende Säule großer Kampagnen ist, wie es früher der Fall war, dass sich aber die Arbeit für Illustratoren in gestalterischen Nischen festsetzt: „Wir sind jetzt unterwegs im kleineren Bereich, redaktionelle Beiträge für Magazine, Jahresberichte, Kalender“, sagt Hubauer. Und sie registriert eine bedauerliche Entwicklung: „Spezialisten kann man mittlerweile alle selbst im Web zusammen suchen und buchen, deshalb sind auch die Artbuyer in den Agenturen verschwunden.“ In Großbritannien und Frankreich gibt es sie noch, die Einkäufer grafischer Großtaten, in Österreich beschäftigt alleine Demner, Merlicek & Bergmann noch einen Artbuyer.
Zeichenzwang
Dass der im wesentlichen von Agenturen organisierte Illustrationsmarkt sich völlig aufgelöst hat, bedauert der Wiener Grafiker Tom Mackinger indes so gar nicht: „Die Illustratoren sind nun gezwungen, sich selbst zu vermarkten und kommen dabei auf eben auf kreative Ideen. T-Shirts werden bemalt, Taschen oder Decken mit eigenen Illustrationen bedruckt und in Kleinauflagen verkauft. Da ist eine richtige Szene entstanden.“ Mackinger selbst hat seine Arbeiten aus vielen Arbeitsjahren gebündelt und verkauft die nun online – wie eine Bildagentur. Der Erfolg freilich ist noch einigermaßen mäßig.
Gerade frisch eingestiegen in den schwierigen Markt für Illustrationen ist Katrin Schubert, die sowohl in Wien als auch Düsseldorf lebt. Sie partizipert von der steigenden Nachfrage für Illustrationen, der schwedische Energiekonzern Vattenfall gehört ebenso zu ihren Kunden wie das österreichische Magazin Datum oder der eine oder andere Buchverlag. Wenn sie etwa den Vattenfall-Vorstand sanft portraitiert, verlässt sie sich ganz auf die Wechselwirkung von Hand, Stift und Papier, den Computer rührt sie kaum an. Handmade eben, ganz und gar. „Die Sehnsucht nach Natürlichkeit, Ursprung und Tradition hat uns in diesen elektronisch geprägten Zeiten erfasst“, meint sie.
Gezeichnete Zeichen
Auf diesen Trend springt auch das Ruralrenaissance-Magazin Servus aus dem RedBull Media House auf. Inhaltlich wie optisch. Vermehrt werden Illustrationen eingesetzt, opulente Vintage- ebenso wie kleine feine Strichzeichnungen. Selbst an der Paginierung hängt ein liebevolles Ornament. Diese Reise macht auch vor der Schriftgestaltung nicht halt. Ein Text kommt gleich wertiger und menschlicher rüber, hat er den Touch des Handgeschriebenen. Teilweise wirken die digitalen Schreibschriften am Markt inzwischen so echt, dass man erst beim akribischen Buchstabenvergleich merkt, wie man getäuscht wurde.
Verlage setzen nach
Julius Wiedemann, Herausgeber von Designbüchern beim Taschen-Verlag meint, daß man mit Fotos einfach nicht mehr überraschen kann und belegt dies mit einem Beispiel: Flickr hätte seit den acht Jahren seiner Gründung etwa sieben Milliarden Fotos gesammelt, dieselbe Anzahl Bilder sammelt Facebook in drei Monaten. Diese Flut von Fotos würde auf Dauer ermüden. Wiedemann jedenfalls stellt eine Renaissance im Illustrationsbereich fest. „In den letzten Jahren ist eine Revolution passiert. Früher wurden Bücher publiziert, wo Illustrationen dabei –aber nicht das Thema waren. Inzwischen legen wir jährlich mindestens zwei Designbücher auf, die ausschließlich nur über Illustrationen berichten.“
Kalte Beziehung
Einer der treuen Auftraggeber für die zeichnende Zunft ist übrigens der Wiener Speiseeishersteller Tichy. Dessen Kampagnenkonzept ist alljährlich ausnahmslos gezeichnet. Letzten Sommer stand für die Bewerbung des Eises das Thema Meer im Mittelpunkt. Der australische Illustrator Nigel Buchanan zeichnete die Sujets im Stil der klassischen Plakatmalerei. Tichy und seine Agentur Satek setzen schon seit vielen Jahren auf die Wirkung von Illustrationen in der Werbung. Wahrscheinlich schmilzt das Vertrauen der Tichy-Werber in die Kraft der Illustration auch in der kommenden Eissaison nicht dahin.
Susanne Sudermann