Grafikdesign
16.09.2014 08:37
Logos aus Massenhaltung
Design-Diskont über Webportale ist für manchen Auftraggeber und Designer eine brauchbare Plattform – für Menschen mit grundlegendem Designanspruch eher nicht. Welche Berechtigung haben die Designportale tatsächlich – und für welche Aufträge sind sie gut geeignet?
Designer für die ganze Welt: Webportale versprechen Auftraggebern, die Weisheit der Masse anzuzapfen – und Designern einfache Kundenakquise. © Fotolia
Sie heißen 99designs.de, Wilogo.com und designenlassen.de. Die Webportale für die schnelle und günstige grafische Kost, auf der Designer und Auftraggeber im Niedriglohnsektor grafische Projekte wie die Entwicklung von Logos oder Webseiten abwickeln. Dabei zeigt sich: billig geht es immer, schnell mitunter. Der Designwettbewerb im Web vereint in sich alle Vor- und Nachteile der „Alles ist nur einen Klick weit entfernt“-Ära. Nutzen wir Industrieländer wieder einmal die verlängerte Werkbank in armen asiatischen Ländern aus? Irgendwie schon.
Die Anbieter
„Solch ein Logo ist aus der Sache heraus austauschbar, weil es nie für einen bestimmten Kunden oder eine bestimmte Sache gemacht wurde. Dabei möchte ich feststellen, dass durchaus anständige Sachen dabei sind.“, sagt die Wiener Designerin Cordula Alessandri. 99designs bringt Auftraggeber und Designer innerhalb einer Projektausschreibung zusammen. Der Auftraggeber legt den Preis fest und initiiert einen Designwettbewerb mit dem Ziel, z.B. ein neues Logo zu finden. Am Job Interessierte schicken ihre Logovorschläge ein. Die Arbeiten werden in Rücksprachenrunden nach und nach verfeinert. Dabei kann der Auftraggeber das Design auf Facebook posten und sich Meinungen der Freunde einholen. Am Schluss wählt er ein Gewinner-Design aus. Außer dem Sieger bekommt niemand Geld für seine Arbeit.
Ähnlich funktioniert es bei Wilogo, zu Fotolia gehörend. Logo, Website, Verpackung: Der Auftraggeber brieft und die Designer machen dem Kunden Vorschläge und sparen Akquisekosten. Die Plattform-Hotlines stehen bei Problemen zur Seite – die Art der Betreuung funktioniert, wie Teilnehmer regelmäßig bestätigen. Auch bei „designenlassen.de“ kann der Designer den Nervenkitzel des Wettbewerbs genießen. Hier gibt es übrigens bei Vorkasse und Nichtgefallen eine „Geld-zurück-Garantie“
Ist billig gleich schlecht?
Die Grundeinstellung vieler Auftraggeber können die engagierte Cordula Alessandri und andere Designer, etwa auf der Kritiker-Webseite „nospec.com“, nicht billigen. Hier wollen Marketer und Designer aufklären, weshalb spekulative Designprojekte der Branche nicht gut tun. Dabei wendet man sich auch an die Auftraggeber, so wie Neil Tortorella von gleichnamiger US-Agentur: „Die Kunden sollten sich fragen, weshalb ein professioneller Designer ein spekulatives Projekt annimmt. Hat er wirklich Erfahrung, wird er dem Projekt wirklich gerecht und kann er mir helfen, dessen Ziele zu erreichen?“. Nospec gibt qualitative, kreative, finanzielle und sozialen Argumente zu bedenken. Es widerspricht ihren ethischen Ansprüchen, dieses Geschäftsmodell, dass die Schnäppchengier Bauch pinselt. Auch Cordula Alessandri lehnt diese Mentalität ab. Nicht aus geschäftlichen Gründen, nicht aus Angst vor der Billigkonkurrenz. „Die Kunden kommen zu uns, weil sie mich und unser Team wollen.“ Alessandris Kunden entscheiden sich bewusst für nachweisliche Qualität und kaufen Persönlichkeit, Beratung und nachweisliches Know-how mit.
Ein zentraler Kritikpunkt an dem Portalsystem ist die nicht entlohnte Arbeit – auch wenn die Designer freiwillig mitmachen. Bezahlt wird nur der Gewinner der Ausschreibung, von dem was das Portal nicht als Provision einsackt. In Nutzerberichten von 99designs ist von 20 bis 30 Designvorschläge für ein Minibudget die Rede – da geht dem Controlling natürlich das Herz auf. Cordula Alessandri bringt es in Wallung, wie die Grafiker bei Projekten mit leeren Händen zurückbleiben:„Da gibt es rund um die Welt Menschen, die für einen bisschen Brot jeden Cent benötigen und hart arbeiten – denn aus dem Ärmel schüttelt sich die Grafische Arbeit keiner.“
Design macht Aufwand – für alle
Der Designer weiß es, aber auch der Auftraggeber lernt: Das Grafikprojekt via Webportal ist kein Selbstläufer. Es ist und bleibt Arbeit für Auftraggeber wie -nehmer. Das Briefing des Projektinitiators sollte englisch ausgeschrieben sein, denn viele Designer in Russland und Pakistan sprechen kein Deutsch. Noch mehr als in Zusammenarbeit mit einer Agentur wird ein Wischi-Waschi-Briefing hier zum Vollflop. Die exakt formulierten Vorstellungen und Informationsverweise ersetzen einen Teil der persönlichen Kommunikation. Hierzu kann der Auftraggeber einige elektronische Vorlageninstrumente nutzen. Das Projekt lässt sich nur schnell abschließen, wenn der Auftraggeber entschlussfreudig ist und zügig Feedback zu den Designs gibt. Er darf hoffen, dass die finalen Daten wie gewünscht angeliefert werden und steht allerdings im Rechtezirkus alleine da. Markenschutzrechte garantiert niemand. Zeit- und kostspielige Markenrecherchen müssen gegebenenfalls selbst durchgeführt werden, beispielsweise mit Hilfe der WIPO Global Brand Database oder den nationalen Patent- und Markenämtern.
Die Weisheit der Masse
Hundertausende Designer agieren mit hunderttausenden Auftraggebern. Die Designportale sind erfolgreich, denn sie bieten beiden Seiten Vorteile. Designer finden bequem Projekte, sie können Leerzeiten füllen oder sich in neuen grafischen Gefilden ausprobieren. Die Bezahlung ist –bei Erfolg- recht schnell abgewickelt. Wie viel Zeit der Designer in eine Ausschreibung investiert, ob er sich aus seiner Schublade bedient oder wieder aus dem Projekt aussteigt: Da ist er im Handeln zwanglos und selbstverantwortlich. Nicht zu vergessen, dass in vielen Ländern schon 150 Euro einfach viel Geld sind.
Zudem locken die Portale neue Auftraggeber für das grafische Gewerbe. Einzelunternehmer oder Existenzgründer verlieren im Netz Berührungsängste zum Design. Sie können sich jetzt ein passabel-professionelles Logo leisten. Ein Faktor mag auch die „wisdom of the crowd“, die Weisheit der Masse, sein. Der Auftraggeber empfängt und beurteilt Ideen aus der ganzen Welt. Denn warum sollte gerade die von ihm beauftragte Agentur in Linz die perfekte Idee haben? Weshalb nicht der begabte Jungdesigner in Islamabad? Sicherlich, Kritiker und Fachleute benennen das in ihrer Antwort genau: Ein Logo wird entwickelt und nicht per Entwurf um die Ohren gehauen. Wie soll das Design die Seele des Unternehmens verkörpern, wenn das Unternehmen dem Ausführenden unbekannt ist? Wie soll das Logo zur Markenbildung beitragen, wenn der Designer das gesamte Branding nicht kennt? Das lässt einen der Umkehrschluss fast erschaudern: Ist das Logo und Marketing nicht hoffnungslos überschätzt, wenn Unwissende in Kuala Lumpur für ein Unternehmen respektable grafische Ergebnisse erreicht? Aber eben auch nur respektabel und Alessandri drückt es wohl treffend aus: „Bei den Online-Geschichten geht es ums geschmäcklerische, nicht um die Positionierung des Unternehmens.“
Ingo Woelk