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China-Geschäft

01.03.2014 21:17

Das China-Syndrom

In China, dem bald größten Druckmarkt der Welt, wechselt der entfesselte Boom der letzten Jahre nun in eine Phase deutlich ruhigeren Wachstums. Für die europäischen Maschinenhersteller ist das nicht zwangsläufig eine schlechte Nachricht.

Maschinenfabrik von Heidelberg im chinesischen Qingpu: Wichtigster Markt für die deutschen Hersteller. © Beigestellt

Das einzige, was hier eindeutig benutzt wird, ist das Aquarium an der Fensterfront. Während im Hintergrund Autos auf einer der mehrstöckigen Stadtautobahnen vorbei rasen, drehen in dem großzügigen Glasbehälter Goldfische gemächlich ihre Runden. Doch der übrige Teil des geräumigen Büros sieht fast aus, als würde es nicht oft gebraucht. Auf dem mehrere Meter langen Schreibtisch verdeckt kein Stückchen Papier das dunkle Furnier und die riesige Leder-Sitzgruppe in einer anderen Ecke des Raumes wirkt, als hätten bisher nur sehr wenige Menschen darauf Platz genommen. 

Zhang Yong Fu und die Inseln

Da kommt auch schon Zhang Yong Fu, Besitzer des Büros und damit auch der Druckerei Yong Fu mitten in Shanghai. Seinen Namen könnte man sehr frei mit „Für immer reich“ übersetzen. Aber das Immer, das macht gerade Pause bei Herrn Zhang. Die Auftragslage für den Druckereichef hat sich deutlich eingetrübt in den Wochen zuvor. Bisher hat Zhang vor allem für japanische Unternehmen wie Toshiba Broschüren gedruckt. Der Umsatz mit dieser Klientel ist um teilweise bis zu 40 Prozent eingebrochen.

Dafür kann Zhang nichts. Schuld ist der Streit zwischen China und Japan um Inseln vor der chinesischen Küste, die ebenso unbewohnt sind, wie dieses Büro wirkt. Seit Beginn des Inselstreits haben japanische Unternehmen ihr Engagement in China merklich zurück gefahren – merklich auch für Drucker Zhang. Das Wogen der großen Politik, das auch die 30 Mitarbeiter-Druckerei von Zhang Yong Fu in Shanghai mitgerissen hat, ist allerdings nicht der einzige Anlass für den Druckereichef, gerade ein wenig betrübt zu sein. Er musste in den letzten Monaten auch registrieren, dass sein bisher hauptsächlicher Geschäftszweck, der Druck von Akzidenzen, nicht mehr Garant für ein auskömmliches Einkommen ist. „Viele Kunden, die bisher Broschüren haben drucken lassen, verlangen mehr nach Verpackungen“, sagt Zhang. Er ist ein kluger Mann, er hat diese Entwicklung kommen gesehen, nur kommt sie eben zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Eigentlich sollte er jetzt in Equipment für die Weiterverarbeitung investieren, eigentlich hat er auch vor, eine UV-Maschine zu kaufen, um im Verpackungsmarkt voran zu kommen und ein sehr margenträchtiges Geschäft zu beginnen. Nur, siehe Inselstreit und temporäre Auftragsflaute, gerade fehlen ein bisschen die finanziellen Mittel. 

Typische Karriere

Ein Stockwerk unter dem Büro des Druckereichefs befindet sich die Produktionshalle. In einem der Räume steht eine Halbformat-Maschine des chinesischen Herstellers Guanghua. Damit hat Herr Zhang seine Druckerkarriere begonnen, 2004 war das. „Ich habe selbst Kunden akquiriert, selbst gedruckt, selbst ausgliefert“, erinnert er sich. Das Geschäft lief prächtig, über lokale Kundschaft kam er aber nicht hinaus. Freunde Zhangs vermittelten ihm dann auch internationale Kunden, Toshiba eben oder auch Starbucks. Die Guanghua wurde stillgelegt. Zhang kaufte 2010 eine SM 74 von Heidelberg und 2013 eine CD 102 mit fünf Farbwerken. „Die Kunden verlangen von mir die Liste des Equipments. Mit westlichen Maschinen kann ich auch Aufträge internationaler Marken bekommen“, berichtet Zhang.

Was Zhang über sich erzählt, über seine Karriere, über seine momentanen ökonomischen Unpässlichkeiten, seine Investitionen, auch die Einwirkungen der Politik; ist die modellhaft exakte Darstellung jener Kräfte und Tendenzen, die den chinesischen Printmarkt modellieren. 

Ausweichen zur Verpackung

Ein wenig schärft sich in Zhangs Erzählungen auch das Bild der Unterschiede und der Gemeinsamkeiten zwischen dem chinesischem und den westeuropäischen Märkten. Wovon man sich nämlich am besten gleich verabschiedet, ist die Idee von einem chinesischen Markt, der auf den schematischen Darstellungen der wirtschaftlichen Entwicklung nur eine Richtung kennt: nach oben. Nein, so einfach ist es nicht. „Die Entwicklung ähnelt jener in Europa“, sagt Diao Honghzen, Forscherin an der Hochschule für Medien in Stuttgart. Zwei Segmente gibt es, die in den letzten Jahren, jedenfalls nach Statistiken des chinesischen Druckindustrie-Verbandes PEIAC, am kräftigsten Aufschwung genommen haben: Verpackungsdruck und Etiketten. Der Umsatz chinesischer Druckereien mit diesen beiden Produktkategorien hat sich seit 2006 praktisch verdoppelt. Die westlichen Hersteller, die in China Geschäfte machen wollen, reagieren nun darauf. „Die Nachfrage nach Lackwerken ist in China deutlich gestiegen. Das kannten wir so bisher nicht aus dem chinesischen Markt. Weil jetzt viele Druckereien vor allem in den Verpackungsdruck investieren, werden wir ab Frühjahr für die CD 102 auch Lackwerke in China bauen“, sagt Stephan Plenz, zuständiger Vorstand des Druckmaschinenbauers Heidelberg gegenüber 4c. Auch der Schneidmaschinenhersteller Polar, der im Shanghaier Stadtteil Qingpu gleich neben dem Heidelberg-Werk eine Produktion unterhält, überlegt einen Einstieg in den chinesischen Verpackungsmarkt. Schon 2011 hatte Polar den Verpackungsmaschinen-Hersteller Dienst Verpackungstechnik übernommen und verkauft die Maschinen bisher über einen Vertriebspartner in China. Sollte der Geschäftsverlauf zufrieden stellend sein, muss es dabei nicht bleiben. „Es gibt Möglichkeiten, diese Maschinen auch in China zu montieren.“, sagt Polar-Geschäftsführer Markus Rall gegenüber 4c.

Verdrängung im Riesenreich

Diese Seitwärtsbewegung zur Verpackung nutzt offenbar besonders den europäischen Herstellern, die auch die nötige Technologie für anspruchsvolle Konsumenten entwickelt haben. Chinas Führung verordnet sich regelmäßig eine Zielmarke von mindestens sieben Prozent Wirtschaftswachstum, auch aus Eigennutz zur Stabilisierung der eigenen Herrschaft. Chinas Mittelschicht, Menschen also, die ein Jahreseinkommen von mindestens 9.000 US-Dollar haben, soll bis zum Jahr 2020 von 300 Millionen Menschen auf 600 Millionen anschwellen. Sie werden mehr verdienen, mehr konsumieren, damit mehr Verpackungen benötigen. „Tatsächlich wollen alle Drucker in den Verpackungsmarkt“, erzählt Walter Zehner, Chef von Koenig & Bauer China. „Da findet ein harter Verdrängungswettbewerb statt und die meisten versuchen es über den Preis“, erzählt Zehner. „Nur die wenigsten Drucker versuchen sich durch ihre Positionierung von anderen zu unterscheiden.“, erklärt Walter Zehner. Solche Tendenz zur Einfallslosigkeit hat auch in Europa schon manche Druckerei vom Markt gefegt. Nicht anders in China. „Angeblich gibt es ja in China rund 100.000 Druckereien, aber damit ist wirklich alles gemeint, was irgendwie vervielfältigt. Tatsächlich schätzen wir, dass es 10.000 Betriebe gibt, die als Kunden für unsere Maschinen infrage kommen. Wenn von denen in den nächsten Jahren die Hälfte überlebt, ist das schon ein Maximum“, rückt der Österreicher Walter Zehner die Verhältnisse zurecht.

China oder gar nichts

In den Auftragsbüchern der europäischen Druckmaschinenhersteller ist diese nun beginnende Konsolidierung aber nicht unbedingt gespiegelt: Heidelberg verkauft mittlerweile jede dritte ihrer Maschinen in China, für Koenig & Bauer ist es das riesige Land der wichtigste Markt weltweit. Sie alle versuchen ihr Engagement zu stärken. So wie der Augsburger Rollendruck-Hersteller Manroland Web Systems. Bisher noch immer unter der Dachmarke Manroland in China tätig, wird Manroland Web Systems noch in diesem Frühjahr eine eigene Niederlassung in China eröffnen. Die Märkte, die Manroland Web Systems mit seinen Produkten bedienen kann, gehören auch in China derzeit zu denen, deren Wachstumskurve im Gegensatz zu den Verpackungen ins Flache wechselt. Dabei unterscheidet Eckhard Hörner-Marass aber zwischen Akzidenzen und dem Zeitungsmarkt: „Ich glaube, dass sich gerade im Akzidenzbereich in China in nächster Zeit einiges lösen wird, bei der Zeitung dagegen ist die Perspektive nicht ganz so gesund.“, sagt der Geschäftsführer von Manroland Web Systems.

Da spielt sie wieder hinein, die Politik: Zeitungen sind als Informationsquellen oftmals diskreditiert. Magazine aber, oft in der Produktion hochwertig, inhaltlich aber strikt unpolitisch, gedruckte Galaxien voller Stars und Sternchen, die finden Gefallen an den Kiosken. „Zeitungen sind in China Propagandainstrumente. Das wissen natürlich junge Menschen und wenden sich Medienkanälen zu, wo sich Meinungspluralität zumindest ein einem gewissen Ausmaß entfalten kann. Das sind nun einmal elektronische Medien“, sagt Hörner-Marass.

Herr Zhou und die Kinder

Ein Gespräch mit Zhou Xian Ghuo, dem Eigentümer von Pica Printing in Shanghai, ist für das Verständnis dienlich, warum die europäischen Hersteller so forsch nach China drängen. Und auch, warum es einen eklatanten Unterschied gibt im Sättigungsgrad und in der Sättigungsphase zwischen Europa und China. „Wissen Sie“, sagt Zhou schmunzelnd, während er durch seinen hochmodernen Betrieb führt, in dem fünf deutsche Maschinen installiert sind, „Europäer und Amerikaner lagern Druckjobs zu uns aus. Aber Shanghai ist teuer geworden, die Arbeitskräfte auch, sofern wir sie hier in der Stadt überhaupt noch finden. Also geben wir manche Druckjobs, die weniger anspruchsvoll sind, an Partnerdruckereien in der Provinz weiter“. Zhou wird beim Rundgang durch den Betrieb begleitet von seinem Freund und wichtigsten Mitarbeiter Mio Rong Qiang, dem Produktionschef des Betriebes. Ob denn die erwachsenen Kinder der beiden mal in das Druckereigeschäft einsteigen möchten? „Bestimmt nicht. Unsere Kinder sind Ärzte geworden. Die wollen sich diesen Job hier nicht antun“, sagt Zhou. 

Technologische Abkopplung

In China verläuft die wirtschaftliche Entwicklung wegen der schieren Größe regional in mehreren Geschwindigkeiten. „China ist nicht Peking, Shanghai und die Ostküste. Es ist kein leichtes Geschäft, aber der Markt ist so riesig, gerade für Maschinenhersteller, dass man da sein muss“, sagt Polar Mohr-Chef Markus Rall. Wenn Druckereichef Zhou einige Druckjobs in die Provinz vergibt, ist das ein Hinweis auf die Chancen, die gerade europäische Maschinenhersteller dort noch haben. Denn viele der Druckereien, die irgendwo im Landesinneren angesiedelt sind, außerhalb der Megacities an der Pazifikküste, arbeiten noch immer mit chinesischem Maschinenmaterial. Wollen sie weiterhin mitmischen am Markt, auch internationale Kunden gewinnen, werden sie den Technologiesprung hin zu einem europäischen oder auch japanischen Hersteller wagen müssen. „In den nächsten Jahren wird es vor allem Ersatzinvestitionen geben. Der Abstand zu den lokalen Herstellern ist größer geworden in den letzten Jahren. Die chinesischen Hersteller haben die technologische Entwicklung total verschlafen.“, sagt KBA China-Chef Walter Zehner. „Die haben sogar gebrauchte europäische Maschinen gekauft, um sie nachbauen zu können. Das hat aber nicht geklappt“, erzählt Zehner. Das große Investitionsrad hat sich in den letzten Jahren gegen den Uhrzeigersinn gedreht: von Hongkong über Südchina und die Küste bis in den Norden. Jetzt verlagert sich das Geschäft langsam in die Provinzen im Westen. „Chinesen sind geprägt vom Vertrauen in europäische Produkte. Da kann die Maschine auch mehr kosten als die Maschine eines chinesischen Herstellers“, weiß Forscherin Diao Hongzhen.

Zielgebiet

Das formt das auch den Unterschied zu Europa: hier müssen die Hersteller in einem stagnierenden Umfeld einander auf technologisch vergleichbarem Niveau die Kunden wegnehmen. In China mag die Mehrung des Druckmarktes sich auch verlangsamen, aber besonders zu ungunsten der chinesischen Maschinenbauer, die technologisch abgekoppelt sind. „Wir beliefern heute deutlich mehr Kunden in China als früher, weil wir auch die im Landesinneren erreichen. Das Kundenspektrum hat sich deutlich ausgeweitet“, sagt Heidelberg-Vorstand Stephan Plenz. Polar Mohr-Chef Rall teilt diese Erfahrung: „Der Markt ist groß und war bisher nicht zur Gänze für uns zugänglich. Aber unsere Produkte kommen jetzt in den Mainstream“. Die optimistische Prognose von Rall streift an die Erfahrungen, die Druckereichef Zhou mit Mitarbeitern und der schwierigen Suche nach qualifizierten Arbeitskräften gemacht hat. China ist nicht mehr die Wühlkiste des globalen Arbeitsmarktes und daher auch Zielgebiet für mehr Automatisierung. „Die Menschen wollen nicht mehr den ganzen Tag Papier von links nach rechts wuchten“, sagt Rall. Deshalb wird Polar Mohr ab kommendem Frühjahr auch den Transomaten, einen Papierlift für die Schneidmaschinen, im eigenen Werk in Qingpu nahe Shanghai bauen.

Ins Uhrwerk gegriffen

Ende des letzten Jahres hat die chinesische Regierung die seit 1980 geltende strenge Ein-Kind-Politik etwas gelockert. Die Reform wird die demographische Instabilität, auf die China zusteuert, nicht verhindern können. 185 Millionen Chinesen sind heute über 60 Jahre alt. Nach mehr als 30 geburtenschwachen Jahrgängen wegen der Ein-Kind-Politik wird der Anteil der Älteren an der Bevölkerung Chinas weiter steigen und die kaufkräftige Mittelschicht gleichzeitig größer. Das ist, als hätte die Regierung in Peking mit ihrer Geburtenkontrolle auch ins Uhrwerk des Medienwandels gegriffen, ihn ein ganz klein wenig verlangsamt. „China ist eine Bildungsnation. Die Menschen investieren in haptische Produkte“, glaubt Forscherin Diao.

Die Politik, sie ist auch für Drucker jener Faktor, der Wachstumskurven nach oben peitschen oder nach unten prügeln kann. Auch abseits von Fünfjahresplänen. Im letzten Herbst hat die Zentralregierung den Provinz-Bürokratien verboten, zum chinesischen Neujahrsfest wieder massenhaft Incentives zu bestellen. Bescheidenheit lautet die Botschaft. Die sonst üblichen Aufträge für Postkarten, kunstvoll gefertigte Kalender oder die hoch veredelten Verpackungen für den berühmten Maotai-Schnaps blieben aus. „Die Drucker sind die Kollateralopfer dieser Kampagne“, bedauert Walter Zehner. Wie es auch Druckereichef Zhang Yong Fu im chinesisch-japanischen Inselstreit ist.

Martin Schwarz, Shanghai

(4c Printausgabe 1/2014)

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