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Haptik

25.03.2013 06:01

Gefühlte Werte

Apple hat es schon erkannt und nutzt es konsequent beim Produktdesign: das sehr ursprüngliche Bedürfnis des Menschen, zu berühren, zu fühlen. Die Druckbranche hat Haptik ebenfalls als vielleicht letztes echte Tugend entdeckt – arbeitet aber nicht konsequent genug an deren Kultivierung.

 

Der Mann investiert in sein soziales Leben. Und das nicht zu knapp. Wer eine Visitenkarte von Alfred König erhält, der weiß spätestens jetzt: üppige zwei Euro ist ein Exemplar wert. So viel hat der Münchner Designer bei seiner Druckerei pro Visitenkarte bezahlt. Man fühlt das auch gleich: Königs Visitenkarte ist zwei Millimeter dick, fühlt sich vorne weich und filzig an, hinten ist sie glatt kaschiert.
Für Alfred König sind solche Visitenkarten eindeutig als Betriebsausgabe absetzbar. Der Mann beschäftigt sich hauptberuflich mit dem Fühlen. Er ist Haptik-Experte, reist durch die Lande, gibt Vorträge, um den Menschen seine zentrale Botschaft näher zu bringen: dass die Druckbranche zwar Haptik als Bestandteil seines vertrieblichen Vokabulars verinnerlicht hat, aber offenbar die Kapazitäten fehlen, um das Fühlen zum echten Asset zu machen. „Haptik könnte für die Druckbranche das gleiche sein wie das iPhone für die Mobiltelefonie“, sagt König. „Die Druckbranche ist aber noch weit davon entfernt, das zu verstehen“, beklagt er.

Analphabeten

Überhaupt: Apple. Das Unternehmen hat es verstanden, zwischen User und Gerät so etwas wie Intimität und Sympathie über den motorischen Vorgang des Berührens entstehen zu lassen. Die glatten Oberflächen, die Funktionalitäten, die alle über die Touchscreens abgerufen werden können, das alles hat eben auch einen psychologischen Effekt. „In einer optisch und akkustisch überreizten Welt ist die Haptik ein frischer und unverbrauchter Kanal für glaubwürdige Komunikation und erfolgreichen Verkauf“, glaubt Olaf Hartmann, Chef der Werbeagentur Touchmore und Mitbegründer des Instituts für multisensorisches Marketing. Alleine, es fehlt das Wissen um die Effekte der Haptik, das wertvolle Sensorium wird nicht animiert, erregt sich Alfred König: „Die meisten Menschen sind haptische Analphabeten“.

Leben mit Gegensätzen

Zur Ausformung des haptischen Bewusstseins trägt die Druckbranche bisher leider zu wenig bei, ist König überzeugt – und auch Designer könnten Haptik ein ebensolches Gewicht verleihen wie sie es etwa Farben oder Typografie zugestehen. „Ich versuche, das klassische Urbedürfnis der Menschen nach Berührung und nach dem Berühren zum Thema zu machen. Wie liegt ein Druckprodukt in der Hand, welches Gewicht hat es, wie fühlt es sich an? Die Gegensätze sind wichtig, die Kombination etwa aus glatten und rauen Oberflächen.“, sagt der bayerische Designer Oliver Stumpf.
Haptik kann viele Gefühlsstadien transportieren. Kühl und scharfkantig signalisiert Macht, kaschmirweich mit runden Ecken erzeugt eher Sympathie beim Nutzer. Schwere Kataloge transportieren ein eher konservatives Image, sind sie auf Bilderdruckpapier gedruckt, kommt noch die intuitive Erwartung von Langeweile beim Leser dazu. Mailings, Geschäftsdrucksorten, Kalender, Jahresberichte – das Betätigungsfeld für Haptik-Experten wäre ein weites. Doch oft sind es die angenommenen Kosten haptischen Spieltriebs, die Auftraggeber abschrecken. „Ich bin da sehr hartnäckig. Dem höheren Preis folgt ja auch mehr Effekt.“, sagt Oliver Stumpf. 

Materialschlacht

Für einen seiner langjährigen Kunden, ein Ingenieurbüro aus Nürnberg, produzierte Stumpf im letzten Jahr eine Faltkarte aus echtem Büttenpapier mit Blindprägung und Letterstanze. Die Buchstaben der beiden Wörter „Beratende Ingenieure“ konnte man herausnehmen und wie beim Scrabble-Spiel neu zusammensetzen. Eine technische Herausforderung war die Ausführung der Filigranstanzung der Lettern, sie durften weder herausfallen noch steckenbleiben. Das Ergebnis der neuen Wortschöpfung - die Antwort auf die Frage „Wie nennt sich ein erfolgreicher Ingenieur am Ende seiner Karriere?“ - sollte dann retourniert werden und nahm an einer Verlosung für ein Abendessen teil. Die gesamten Textergüsse wurden später auch als Plakat gedruckt und wieder verschickt. 2013 spielte Stumpf mit den Materialien Aluminium, Glas, Beton und Stahl. Jeder Baustoff als kleines Quadrat mit einer der vier Jahreszahlen im Siebdruck bedruckt und neu zusammengesetzt als Glückszahl 0 1 2 3 in einem geschlossenen Mailing.

Wenn Oliver Stumpf übrigens nicht mehr weiter weiß, dann greift er zum Telefon und ruft Alfred König an, der ihm Ratschläge für die richtigen haptischen Elemente zur transportierten Botschaft gibt. Auf Königs Zwei-Euro-Visitenkarte steht als Berufsbezeichnung schließlich nicht ganz bescheiden: „Herr der Lage“. 

 

Erleben Sie Alfred König live! Beim Haptik-Workshop von 4c am 10. April in Wien. Mehr Informationen hier.

(4c Printausgabe 2/2013)

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