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Illustrationen

04.01.2016 07:35

Die Schatzkarten der Gegenwart

Illustratoren sind die Kartenmacher unserer Zeit. Sie zeichnen die Welt mit jenem Blick für das Wesentliche, als würden sie zum ersten Mal entdecken, was Satelliten längst zentimetergenau vermessen haben.

Gefühlte Topographie: Ganz ohne Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor geht es dann aber auch nicht. © Beigestellt / Hilgarth Bild fürs Leben: Hochzeitseinladung als Weltkarte. © Beigestellt / Hilgarth Niederösterreichische Landesausstellung: Wanderempfehlungen von Stefanie Hilgarth. © Beigestellt / Hilgarth

Lange, lange Zeit war das Land „Terra Incognita“ das größte aller Weltreiche. In der Menschheitsgeschichte führte Neugier und Notwendigkeit über Jahrtausende kaum weiter als bis zum Sippennachbarn. Die Blicke waren ins Jenseits gerichtet, gen Himmel, ins Nachbardorf maximal. Allmählich wurden die Wege wichtiger, und auch die Orientierung, welchen man denn nun beschreiten sollte. Die ersten Weltkarten nahmen das eher als philosophische Aufgabe her und zeigten vor allem auch Richtungen, die direkt oder über Umwege ins Seelenheil oder Paradies führen sollten. Bis heute hat die Kartographie alle möglichen Wege und Orientierungspunkte verzeichnet auf unterschiedlichsten Formaten und Medien, Seefahrtsrouten, religiöse Pfade der Tugend, Wanderwege, sechsspurige Highways. Und doch sind viele Karten heutzutage eher leicht lesbare Infografiken, die viel mehr vermitteln als ein maßstabsgetreues Abbild in symbolischer Form - vor allem, weil die Kartenmacher der Stunde und er Gegenwart nicht Landvermesser und Wissenschaftler oder Navigationssysteme sind, sondern die Illustratoren. Sie zeichnen die Welt nicht, wie sie der Satellit von oben sieht, sondern wie sie sehen. Sie kartographieren den subjektiven Interpretationsspielraum, der zwischen ihren Karten und der Wirklichkeit gefüllt werden will. 

Keine Ebenbilder der Wirklichkeit

Im Grunde war jeder wahrscheinlich schon einmal Kartenmacher. Um einen Weg zu erklären, reichen oft eine Serviette und ein Kugelschreiber. Schnell sind Landmarks gezeichnet, die Verhältnisse und die Orientierungspunkte dargelegt: Auch die Illustratorin Stefanie Hilgarth aus Wien hat es so erlebt, als sie zuletzt in Brasilien kreuz und quer  mit dem Bus unterwegs war. Da halfen die kleinen, gekritzelten Erklärungen oft schneller als Worte. Ein paar Striche, eine kleine Zeichnungen, ein Punkt, das Ziel, schon ist man weniger verloren. In ihrem Atelier im zweiten Bezirk Wiens, in der Großen Mohrengasse zeichnet Hilgarth selbst Karten. Und jedes Mal freut sie sich auf eine neue Reise, selbst wenn sie bis zum Abend vor lauter Zeichnen nicht vor die Tür geht. Sie hat schon internationale Metropolen illustriert, aber auch schon für große Konzerne Aufgabenfelder und komplexe Zusammenhänge in Kartenform gebracht. Wo man Orientierung braucht, auch innerhalb einer komplizierten Faktenlage, helfen illustrierte Karten, die „Mind map“ auch auf Papier zu bringen.

Was Illustratorin Stefanie Hilgarth aus Wien tut, wenn sie ein Briefing für eine Karte bekommen hat, egal ob sie in einem Magazin oder eine Corporate-Broschüre erscheinen soll, ist gar nicht mal so weit weg, von dem Prinzip, wie die ersten Weltkarten entstanden sind. Natürlich liegen etliche Jahrhunderte dazwischen. Und noch ganz andere gestalterische und kulturelle Welten. Aber die Grundlage ist dieselbe: Nicht die Exaktheit ist der Anspruch. Nicht die maßstäbliche Abbildung der Welt, übersetzt in Linien und Symbole. Sondern die Karten sind Ausdruck subjektiver Betrachtung. Was den Zeichenstift führt sind nicht maßstäbliche Verhältnisse, sondern persönliche Erfahrungen, Vorlieben, Weltsichten und auch so manche Absichten. Und Hilgarth legt so individuell ihre Weltsicht auch über Stadtpläne, die sie etwa von Istanbul und Berlin für Magazine zeichnet, genauso wie es die Urheber der Weltkarten im Mittelalter gemacht haben.

Oben ist Osten

„Mappae Mundi“ heißen diese, die in der westlichen sowie in der arabischen Welt gezeichnet wurden. Sie wurden nicht dafür gemacht, tatsächlich benutzt zu werden, im Rucksack gefaltet darauf zu warten, bis sie ein Reisender herauszieht. Meist waren sie Wandschmuck, in dem sich kulturelle, religiöse und philosophische Überlegungen und Konzepte abbildeten. Illustrierte Weltbilder waren das  eher als illustrierte Weltkarten. Jene, die heute Illustratoren für verschiedenste Anlässe von Tourismusprospekten bis hin zu Geschäftsberichten produzieren, kreisen zumindest entfernter oder näher um geographische Tatsachen. Die berühmte „Hereford“-Karte aus Großbritannien, die Ende des 13. Jahrhunderts hergestellt wurde, konnte in dieser Hinsicht noch auf relativ wenig zurückgreifen. Und wollte es zum Großteil auch gar nicht. Jerusalem liegt auf dieser Karte im Zentrum, oben ist „Osten“, das Rote Meer ist riesig und überall tauchen Bilder von Heiligen auf. Noch subjektiver nach Weltsicht gefärbt war die „Ebsdorfer Weltkarte“, die in einem deutschen Benediktinerkloster gefunden worden war. Sie datiert wahrscheinlich aus dem Jahr 1234. Christus breitet darauf seine Arme aus und umarmt die Welt. Sein Nabel ist somit auch der Nabel der Welt, Jerusalem. Und sein Kopf ist dort, wo man das Paradies vermutete  eine kartographierte Bibelstunde. 

Heute liefern Illustratorinnen wie Stefanie Hilgarth Beispiele, dass sich noch ganz andere Dinge als Länder und Landschaften kartographieren lassen. Auch Gefühlslagen kann man in Kartenform transformieren. Oder Lebenswege. Hilgarth zeichnete jene eines befreundeten Pärchens auf ihre Hochzeitseinladung, in Form von Landkarten, dort sind die Stationen des Lebens als kleine Illustrationen auf verschiedenen Umrissen von Vietnam bis Wien verzeichnet und verortet. 

Stadtlust

Wie den alten Mappae Mundi geht es nicht darum, die Welt exakt darzustellen, sondern persönliche Vorstellungen und Erfahrungen zu illustrieren. Natürlich gehört die Vermittlung von Wissen, geographischen und anderen Fakten auch dazu, doch, was mehr zählt in lockeren Reisereportagen, sind andere Anhalts- und Orientierungspunkte. Etwa auch was man sich gefühlsmäßig an den Orten erwarten darf. Trotzdem müssen die Karten auch „gelesen“ werden können, eine Berlin-Karte etwa, so individuell sie auch sein mag, würde ganz ohne Brandenburger Tor im Zentrum oder den Wappenbären irgendwo auch nicht gut funktionieren, sagt Stefanie Hilgarth. Wenn nicht das Straßenmuster selbst schon so ikonisch wäre, dass man die Stadt dahinter erkennt. „Die Eckpunkte müssen schon stimmen, selbst wenn die ganze Karte subjektiv ist“., meint Hilgarth, „es bleibt noch immer genügend Zwischenraum, den man mit Persönlichem füllen kann“.  Normalerweise laufe es bei einem Briefing für eine Karte so: „Es gibt ein paar Vorgaben, die man berücksichtigen muss und am Ende kommt der Satz: Und alles, was Ihnen noch dazu einfällt“.  Und was das ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie Hilgarth sagt: „Es kommt auch darauf an, ob ich eine Stadt mag oder nicht“. Und natürlich, ob sie selbst schon dort gewesen ist oder nicht. Viele kleine Illustrationen, die sie aus dem zweidimensionalen Plan dann gern ins Räumliche hinauskippen lässt, zeichnen ein ganz anderes Berlin, Bukarest oder Istanbul als herkömmliche Karten.   „Es geht ja im Tourismus und bei Reisereportagen vorwiegend darum, gewisse Emotionen zu transportieren und Lust zu wecken“, erklärt Hilgarth.

Die Wirklichkeit erwandern

Etwas anderes als „gefühlte“ Karten waren die älteren illustrierten Ausgaben aus dem Mittelalter auch nicht. Damals wurden noch ganz andere Dinge gefühlt, geahnt und gefürchtet. Gängig war auf Landkarten die lateinische Beschriftung „Hic sunt dragones“ für Weltgegenden, die man nicht einmal aus Erzählungen kannte. Auch säumten allerlei Monster, Ungeheuer und Kreaturen die eingezeichneten Land- und Seewege. Es sind heute auch immer Gefühlslage, die Hilgarth verzeichnet, wenn sie Karten illustriert, sagt sie. „Exakte Karten zur Orientierung, die findet man ohnehin im Internet. Wenn man selbst eine Karte illustriert wird sie persönlicher. Es ist immer eine subjektive Auswahl.“

Zuletzt hat Hilgarth auch eine Karte gezeichnet, die sich wie ein Wanderpfad durch eine ganze Broschüre zieht.  Für die niederösterreichische Landesausstellung 2015 „Ötscher-Reich. Die Alpen und Wir“, die sich über Frankenfels, Neubruck und Wienerbruck im Mariazeller Land zieht, hat Hilgarth nicht nur zeichnerisch Wege, gestrichelte Linien und andere gestalterische Pfade im Ausstellungsdesign ausgelegt, sondern auch  einen ganz persönlichen Wanderbegleiter illustriert. Ein „Los geht’s-Heft“, mit der sie illustriert „wie die Wanderung, den Weg, den man bestreitet ,zu einer subjektiven, persönlichen Erfahrungen wird“. Das Heft versammelt auf den ersten Seite Zeichen, Symbolik und Markierungen, die man aus Karten kennt und die man beim Kartenlesen normalerweise als Bäume, Wirtshäuser, Gipfel dechiffriert. 

„Es ist so etwas wie die Kartographierung einer vagen Vorstellungswelt am Anfang“, erzählt Hilgarth. Das Abstrakte wird auf den nächsten Seiten Schritt für Schritt zu einer konkreten Wegerfahren, als würde sich der Weg auf einer persönlichen Karte immer deutlicher erschließen. Die Karten auf der letzten Seite der Broschüre liest sich schlussendlich als Mindmap der Erfahrungen und Gefühle, die einen unterwegs begleitet haben.  In einer solchen Kartographie der Gefühlslagen dürfen dann auch Begriffe wie „Euphorie“ zwischen den Höhenlinien stehen. 

Das Monster mit dem Hackbeil

Karten dienten auch immer wieder dazu, nicht nur Gefühle abzubilden, sondern auch zu schüren.  Vor allem auch Ängste. Oft auch aus politischer Intention in Propagandakarten. Solche Beispiele finden sich auch in dem zuletzt erschienen Band „Maps“ aus dem Phaidon-Verlag, der aus den verschiedensten Epochen die bemerkenswertesten Beispiele der Kartographie versammelt. Jedes Beispiel zeigt, wie sich kulturelle, subjektive, religiöse, aber auch technische Erfahrungen in der Ästhetik und Gestaltung von Karten ausdrücken. Aber auch wie sich eine gesellschaftliche und politische Stimmungslage widerspiegelt: aus russischer, kartographischer Perspektive sind während es Zweiten Weltkriegs etwa auf deutschem Boden keine Drachen mehr zuhause, dafür ein haariges Wolfbärmonster mit einem Hackbeil in der Hand und einem Hakenkreuz am Arm. Da waren sie wieder die Kreaturen und Monster des Mittelalters in einem Zeitalter, in der die Welt längst vermessen war.

Für Kinder sind die illustrierten Karten bis heute eine beliebte Möglichkeit den Entdeckergeist im geschützten Kinderzimmer auszuleben. Doch wie in jeder bildlichen Darstellungsform, kann auch die Weltsicht der Illustratoren, ihre zum Teil stereotypen Bilder, das Weltbild der Kinder vorskizzieren. „Man kann aber mit Klischees auch kommunizieren. Sie sind ein wichtiges Tool, man muss nur aufpassen und ihnen kritisch gegenüber stehen“, meint Hilgarth, „aber ich glaube, dass sie ein gutes Kommunikationstool sind“. Außerdem habe man, sagt sie, auch noch ausreichend Einflussmöglichkeiten bei der Gestaltung, „man kann mit entscheiden, wie und wie intensiv man das Klischee ausgestaltet“.

Norbert Philipp

(4c Printausgabe 6/2015)

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