Business Karriere Design Tools Druck Digital
StartseiteDesignBuchdesignSich vom Lesen lösen

Buchdesign

04.07.2013 10:23

Sich vom Lesen lösen

Bücher werden vom Medium zum Objekt. Und die Gestalter vom Grafik- zum Produktdesigner, die den Bücher helfen, ihre Stärken wie Materialität und Haptik noch viel besser auszuspielen.

buchdesign manuel raddeBuchdesigner Manuel Radde: „Das Buch ist nicht mehr nur als neutrales Medium dazu da, Inhalte zu transportieren.“ © Beigestellt

Wie viel ein Bücherregal doch aussagen kann: über denjenigen, der die Bücher dort hineingestellt hat, über seine Vorlieben, sein Denken, seine Persönlichkeit. Und auch die Bücher selbst lassen Rückschlüsse zu: auf die Gestaltungsstrategien der Designer, die ein Medium aufwerten und robust machen sollen – gegen eine vermeintliche Übermacht an Publikationen, die nichts als Pixel sind und als E-Book körperlos sich nur durch ihren Inhalt beweisen müssen. Einer der Vorteile, der gerne in der Urlaubszeit beschworen wird, ist, dass auch 1.000 Bücher nie mehr wiegen als der E-Reader, mit denen man sie liest. Doch gerade den Umstand, dass  das Material in der Buchgestaltung ins Gewicht fällt, finden die Designer mit entscheidend. Genau das honoriert auch der  Wettbewerb „Die schönsten Bücher Österreichs“, die jährlich mit Staatspreisen und Ehrenurkunden ausgezeichnet werden. E-Books könnte man auch gar nicht so schön im Regal sortieren wie jene, die sich da jährlich die Preise abholen.

Temperiertes Buch

Im „Salon für Kunstbuch“ ist die Regalverträglichkeit von Büchern ein ziemlich wichtiges Element der Inszenierung: in der Wiener Mondscheingasse gruppiert Inhaber Bernhard Cella die ausgesuchten Stücke nach Farbe. Eines der Bücher, die  den Staatspreis für das „Schönste Buch 2012“ bekommen haben, könnte dort unter „Mattschwarz“ stehen: Der Katalog zum österreichischen Beitrag zur Architektur-Biennale 2012 in Venedig von Wolfgang Tschapeller. Erst wenn man es in die Hand nimmt, wird das Buch  weiß. Zumindest dort, wo die warmen Finger den Umschlag berühren, reagiert die Thermofarbe, die mit Siebdruckverfahren aufgedruckt wurde, wie Roman Breier vom „Grafischen Büro“ in Wien erklärt. Gemeinsam mit Günter Eder und Marcel Neundörfer hat er das Buch gestaltet. „Es war ein Experiment“, sagt Breier, „das mehrere Anläufe gebraucht hat“. Es hat aber auch bewiesen, wie bei der Buchgestaltung Drucktechnologien und Gestalter zusammenspielen. „Die Temperatur, bei der die Farbe reagiert, lässt sich auch einstellen“, ergänzt Neundörfer. Für die Ausstellungshallen der Biennale in Venedig hat man sie extra temperiert, damit „die Umschläge nicht ganz weiß werden“.

Durch die Eigenschaft des Covers habe „Hands have no tears flow“, so der Buchtitel, etwas, was die Bücher auch in Zukunft haben müssten – vielleicht noch mehr als in der Zeit, als man auch ohne E-Reader ausgekommen ist: ihre Besonderheiten und ihre eigene Identität.

Leerraum im Buch

 „Das Schöne an dieser Art von Büchern ist, dass man so den Inhalt nach außen bringt und erweitert“, sagt Buchgestalter Eder. Und dafür muss auch alles gestalterisch zusammenspielen, wie er meint: „Das Papier, das Format, die Bindung, das Cover“. Das Buch darf ruhig den Platz mit Volumen nützen, den es im Raum einnehmen kann – im Gegensatz zum digitalen Buch.  Die japanische Bindung, die man für das Buch verwendete, war eine gestalterische Konsequenz aus „der Entscheidung für mehr Volumen“, erzählt Eders Kollege Breier. Gemeinsam mit Architekt Wolfang Tschapeler wurde sie getroffen, der auch den entstehenden Ziehharmonika-Effekt mochte.  Die Seiten sind außen gefaltet, innen geleimt, zwischen ihnen entsteht so ein Leerraum. Auch ein Beispiel dafür, sagt Breier, dass „Buchdesign eine Reise ist, bei der man nicht weiß, wo das Produkt ankommt.“ Während des Prozesses ändert sich oft mit einer Layout-Umstellung der Umfang, die Dicke und das Gewicht. „Dann kann man nachjustieren, mit Volumenpapier etwa“, sagt Marcel Neundörfer.

Seiten mit Widerstand

 „Im Grafikdesign ist es ja sonst kaum der Fall, dass die Haptik so wichtig wird, wie schwer das Buch ist, wie weich oder wie starr der Umschlag“, meint Eder. Wichtig ist aber auch, wie sich die Seiten blättern lassen, ob sie sich fast wie von selbst umlegen, oder sich dagegen sperren. Das beeinflusst, wie die Bücher in der Hand liegen und und auch wohin man sie schließlich legt, wenn man sie liest und betrachtet. Das Design beeinflusst all das. Und reagiert genauso darauf. 

„Eine Lesebuch legt man nicht auf den Tisch. Da ist es wichtig, dass man es biegen kann“, meint Grafikdesigner Manuel Radde. Auch seine Gestaltung wurde beim Staatspreis für die „Schönsten Bücher Österreichs“ ausgezeichnet. „Das Buch ist nicht mehr nur als neutrales Medium dazu da, Inhalte zu transportieren“, sagt er, „sondern es fungiert als eigenständiges Objekt.“ Der Buchdesigner wird zum Produktdesigner. Denn die Gestaltung, so Radde, „tritt vom reinen Layout in die Dreidimensionalität über“. Und findet in diesem neuen Raum vielfältigste Möglichkeiten, ganz im Gegensatz zu den digitalen Medien. Die Stärken der Haptik spielen die Designer heute bewusst aus. Und das nicht nur auf dem Cover, auf dem sich die meisten Verlage gestalterisch austoben – auch, um im Schaufenster oder im Bücherhaufen ins Auge zu stechen. Viele Bücher, meint Radde, zeigen sich außen möglichst originell und drinnen dafür höchst konventionell. Das Buch müsse auch innen „gestaltet“ sein, „nicht nur runtergesetzt“. Auch mit dem Papier lässt sich der Inhalt gut strukturieren. Die Typographie verleiht zwar der geschriebenen Sprache eine Stimme, wie Gestalter gerne sagen, aber das Papier trägt zum Stimmvolumen bei.

Lesebremse

Selbst Bildbände brauchen nicht mehr „glossy“ zu sein, um zu glänzen. Gerade diese Papiereigenschaft hätte nicht gepasst zum Buch und zu den Fotografien von Vera Brandner, das Radde gestaltet hat. Die Fotos in „Die Bilder der anderen / Pictures of others“ sind keine „glossy Fotografie“. Denn die wirkt nach Meinung des Gestalters Manuel Radde modisch und kurzlebig, weckt die falschen Assoziationen. „Diese Fotos“, sagt Radde, „bilden sich auf rauem Paier und in zurückhaltender Mattheit besser ab“.  Und: „Die ästhetischen Maßstäbe verschieben sich gerade,“ so Radde, „dabei muss haptisch wertvolles Papier nicht unbedingt teuer sein“.

In dem Fotoband bekommen die Bilder keinen Subtext, keine Verständnisanleitung. Die Betrachter bleiben mit ihren Eindrücken allein. Der Begleittext liegt extra hinten im Buch bei - eine bewusste Gestaltungsentscheidung. „Das Buch besteht nunmal nicht nur aus Bildsprache, sondern auch aus Formensprache. Und das kommuniziert genauso im Hintergrund mit“, meint Radde. Das Genre Kunstbuch lässt es zu, das Tempo rauszunehmen, gar nicht erst versuchen zu wollen, mit neuen Rezeptionsgewohnheiten, die man sich am Bildschirm antrainiert hat, mit zu halten. So ist ein Buch entstanden, auf das man sich einlassen muss. Der Gestalter drückt bewusst auf die Rezeptionsbremse. Und animiert gleichzeitig zur Beschäftigung mit dem Buch, zum Hin- und Herdrehen und auf den Kopf stellen. 

Platz für die Gestaltung

Noch etwas will Manuel Radde anregen: „Die Gestaltungsentscheidungen bei Büchern sollten generell überdacht werden“. Die Schriftgröße etwa, meist ist sie überall dieselbe. Über neun oder zehn Punkt trauen sich die wenigsten. „Das Web kommt da dem User viel mehr entgegen“. Deshalb muss, meint jedenfalls Radde, auch die Buchgestaltung im Print benutzerfreundlicher werden,  nicht dem ökonomischen Marktdruck zu sehr nachgeben. Denn Inhalte und Zeichen lassen sich nicht beliebig auf die Seiten sowie zwischen die Buchklappen pressen und zwängen. Dem Material und dem Inhalt muss man auch seinen Platz einräumen. Denn die entmaterialisierte digitale Welt ist auch die flüchtige. Gerade in dieser Bilder-und Publikationsflut hätte die langlebige Buchgestaltung Platz, um Eindruck zu hinterlassen. Die steigende Zahl von Kunst- und Fotobüchern von jungen Künstlern und Fotografen beweist das bereits. „Aber das Entscheidende beim Buch bleibt die eigenständige Identität“, sagt Radde. Ein E-Book wird in dieser Disziplin vermutlich immer unterlegen sein.

Norbert Philipp

leaderboard,skyscraper,rectangle_cad_300_250,banner_468,rectangle_300_250,rectangle_300_100