Business Karriere Design Tools Druck Digital
StartseiteBusinessCrossmediaAm Datenstrom

Crossmedia

03.04.2014 12:18

Am Datenstrom

Die Stellschrauben, an denen Druckereien noch drehen könnten, um ihre Erträge zu steigern, sitzen mitunter nicht ganz so locker. Den Blick vom Drucksaal abzuwenden, sich auch mit papierloser Medienproduktion zu befassen, kann das Problem lindern.

Am Datenstrom: Druckereien hätten viele Fähigkeiten, die für crossmediale Dienstleistungen unentbehrlich sind. © Fotolia

Nur 117 Kilometer sind es von Heidelberg ins baden-württembergische Waiblingen. Aber davon, Peter Sommer zu überzeugen, ist die Vertriebsmannschaft des Druckmaschinenherstellers Heidelberg derzeit noch viel weiter entfernt. „Das funktioniert nicht“, knurrt Sommer. Er meint damit: Die Druckerei Elanders zum Anbieter von Multimedia-Dienstleistungen, zum E-Book-Spezialisten, zum App-Erzeuger, zu drehen.

Daran wäre aber Heidelberg gerade sehr gelegen. Bei Elanders und bei den anderen Kunden. Mit einer eigentlich recht kleinen Akquisition, der mehrheitlichen Beteiligung an der Softwareschmiede Neo7even im Dezember letzten Jahres, versucht der Druckmaschinenhersteller nun einen radikalen Strategiewechsel. Die Story dazu:  Druckereien benötigen für anhaltenden betrieblichen Erfolg nicht nur möglichst effiziente Produktion im Drucksaal, sie müssen ihr Wissen um das Datenhandling auch zunutze machen, um mehrere Medienkanäle zu bedienen. Das Besteck für diese Erweiterung liefert in diesem Plot Neozenzai, die Software-Suite von Neo7even. Die soll – neben vielem anderen – auch das Publizieren unabhängig vom Ausgabekanal möglich machen.

Ob sich Druckereien ebenso wie der Druckmaschinenhersteller aus der ökonomischen Komfortzone CMYK heraus wagen sollen, ob diese Kreuzfahrt durch andere Medienkanäle Druckereien wirtschaftlich in ruhigere Gewässer führen könnte,  gehört wahrscheinlich zu den existentiell wichtigeren Fragen des grafischen Gewerbes. Und noch dazu zu jenen, die mit viel Für und viel Wider vermint sind.

Glaubwürdigkeitsfalle

Da macht es Sinn, sich auch mit der Skepsis von Peter Sommer zu beschäftigen. Die Ausgangslage: Elanders ist eine Druckerei, die IT und die Schnittstellen zwischen Print und Web recht gut einzusetzen weiß. „Je höher der Faktor IT, desto höher die Marge“ postuliert Peter Sommer gerne. Er verwirklicht Projekte wie socialmemories.de, bei dem aus Facebook-Einträgen Bücher werden. Und trotzdem sieht er seinen Betrieb nicht auf dem Weg zum echten Crossmedia-Dienstleister. „Kunden billigen einer Druckerei die Kompetenz nicht zu“, bedauert er. Dieses Problem hat er bei Projekten wie socialmemories.de nicht: da bleibt letztlich Print der einzige Ausgabekanal. „Ich muss mich“, ist Sommer sicher, „mit intelligenten Modellen befassen, wie ich Farbe aufs Papier bringen kann.“

Es ist schon was Wahres dran an den Sommerlichen Bedenken. Die Kompetenz, aus Daten etwas anderes zu generieren als nur eingefärbtes Papier, mag in jeder Druckvorstufe schlummern. Wahrgenommen wird das aber von der Kundschaft nicht automatisch.  Selbst Druckereien, die sich schon lange mit dem Thema befassen, leiden an dieser Wahrnehmungsdiskrepanz. „Wir sind an einen Punkt gekommen, wo das Geschäft stagniert“, erzählt etwa Martin Schöllhorn, bei der Druckerei C.H. Beck im bayerischen Nördlingen für das Crossmedia-Geschäft zuständig. Die Zahlen sind erstmal beeinruckende: Knapp 20 Prozent des Umsatzes von 50 Millionen Euro werden mit Dienstleistungen generiert, an deren Ende keine bedruckte Palette Papier steht. Aber der Großteil dieser rund zehn Millionen Euro kommt von der C.H. Beck-Verlagsgruppe selbst.

Die Körpersprache der Verkäufer

Dem Mutterhaus zu verkaufen, dass man nicht nur Druckerei ist, dafür braucht es nicht viel Vertriebs-Hokuspokus. Bei fremden Kunden war es bisher ungleich schwerer für die Druckerei C.H. Beck. "Es hat nicht gut funktioniert", sagt Martin Schöllhorn. Nicht als Druckerei und nicht mit dem Vertrieb einer Druckerei. "Wir haben eigene Key Account Manager installieren müssen. Verkäufer von Drucksachen sind sehr zurückhaltend, wenn es plötzlich um E-Books oder XML geht. Da verändert sich sofort die Körpersprache.”, erzählt Schöllhorn. Ende des vergangenen Jahres hat man bei C.H. Beck eine neue Struktur rund um die Abteilung geschaffen und die C.H. Beck Media Solutions gegründet. Sie tritt nun nach außen als Anbieter für alles auf, was nicht durch Druckmaschinen laufen muss, um Umsatz zu machen. “Wir wären bescheuert, würden wir das nicht tun”, sagt Schöllhorn.

Nicht ganz so viel Organisationselastizität konnte die bayerische Druckerei Stieber bisher erreichen. Zwar hat man auch hier für den Außenauftritt eine eigene Marke, die Stieber Media, erschaffen, aber die ist vertriebsseitig mit der gleichen Mannschaft besetzt wie die Druckerei selbst. “Ich glaube, es wäre mehr Potenzial da, wenn auch der Vertrieb anders organisiert wäre”, sagt Christoph Muhr, der bei Stieber die E-Sparte mit aufgebaut hat.

Mut als Muss

Es sind diffuse Verhältnisse, mit denen Druckereimanager konfrontiert sind: Da ist einerseits die durchaus tatsachenbasierte Überzeugung, besonders in der Vorstufe mit dem Wissen über den Datenstrom technisch geradezu auserwählt zu sein, um sich auch mit Apps, personalisierten URLS, Emails und E-Books zu befassen. Und da ist andererseits die Erkenntnis, dass die Kundschaft davon nur bedingt überzeugt ist. “Es ist klug, die Vorstufe näher zu betrachten. Hier schlummert das Potenzial, auch als crossmedialer Dienstleister auftreten zu können. Aber oft liegt das Problem in der Vermarktung und der inneren Koordination dieses Schrittes.”, weiß der Schweizer Crossmedia-Experte Hannes Zaugg, Dozent am Schweizerischen Ausbildungszentrum für Marketing, Werbung und Kommunikation.

Diese innere Koordination braucht Mut, denn soll sie marktgerecht vor sich gehen, bedeutet das auch den Abschied von bekannten Unternehmensstrukturen. Das geht weit darüber hinaus, als bloß ein neues Branding zu entwerfen. “Man muss dem neuen Unternehmensbereich völlige Freiheit lassen, muss auch akzeptieren, dass da neue Spielregeln erfunden werden”, sagt Okke Schlüter, Dozent an der Hochschule für Medien in  Stuttgart. Wo die Druckmaschine nicht mehr das wirtschaftliche Gravitationsfeld ist, um das  herum sich alle Strukturen bilden, muss eben Spielraum geschaffen werden.

Druck als Zusatzleistung

So wie es Thorsten Winternheimer, Geschäftsführer von Wolf Print in Ingelheim macht. Seine letzte Offset-Druckmaschine hat Winternheimer vor acht Jahren gekauft und “wir werden auch keine neue mehr anschaffen”. Die Leistungen, die Wolf Print anbietet, lassen erahnen, wie weit sich eine Druckerei zum gut sortierten Komunikationsgreissler entwickeln und dabei zwischen haptischen Produkten und Web-Anwendungen einen breiten Bogen spannen kann. Für den Kreuzfahrtriesen Aida hat Winternheimer kürzlich Mailings produziert, die sowohl Drucksaal als auch Web-Abteilung gut ausgelastet haben. Jedem Mailing legte Aida einen Webkey bei, der zu Videos und Bildern vom reichhaltigen Reise-Angebot führt. “Der Umsatzanteil, den bei solchen Projekten die Druckleistungen beigetragen haben, ist gar nicht mehr so groß”, sagt Winternheimer.  “Der Druck ist da nur eine Zusatzleistung”. Darum wissend hat Winternheimer seine Druckerei völlig neu organisiert: “Diejenigen, die bei uns Online-Services machen, haben mit dem Print-Geschäft nichts zu tun. Die sitzen zwar aus Kostengründen noch im gleichen Haus, sollten aber eigentlich ganz woanders arbeiten”.

Bitter ist die Erkenntnis, aber auch zwingend: Drucker, die sich auf das neue Geschäft einlassen, müssen von der Idee Abschied nehmen, dass Gedrucktes in diesem vielteiligen Puzzle der Kommunikation das prägende, das wichtigste Stück sein kann. “Wer das nicht begreift, soll sich lieber im Druckmarkt selbst weiter entwickeln. Sich Logistik-Lösungen zu überlegen oder eine Manufaktur für hoch veredelte Produkte zu gründen, liegt viel näher, als sich mit medienneutralen Lösungen zu beschäftigen”, sagt Winternheimer. Seine letzte Investition im Drucksaal war ein alter Heidelberger Tiegel. Manufaktur eben.

60 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet Winternheim noch immer mit Druckerei-Leistungen, 40 Prozent mit papierlosen Services. “Aber der Ertrag bei diesen 40 Prozent ist höher als jener mit den Druckaufträgen”, rechnte Winternheim vor.

Preise im Hintergrund

Frei von emotionalem Ballast der Schwarzen Kunst agiert auch Michael Gitzi, Geschäftsführer von Digidruck in Wien. Der Digitaldrucker hat sich rund um sein bisheriges Kerngeschäft einige unternehmerische Satelliten aufgebaut, die zuweilen die Dienstleistungen der Digitaldruckerei benötigen und auch mal gar nicht. Die Agentur Mindworker erdenkt multimediale Kampagnen, der Dienstleister i-Direct exekutiert multimediale Kampagnen, meist mithilfe der Xerox-Software XMPie. XMPie ist ein kompliziertes Produkt, das sich bändigen lassen möchte, eines, an dem Gitzi und seine Kollegen schon seit Jahren basteln. “Plug und Play gibt es da nicht”, sagt er. Doch mittlerweile kennt er Software so gut, dass er sogar für andere Drucker personalisierte Kampagnen orchestriert. “Wir verkaufen den Datenstrom, den wir generieren, gerne an Kollegen”, schmunzelt Gitzi. Ist ein Druckanteil dabei, sieht sich Gitzi mit den technischen Möglichkeiten des Digitaldrucks gut aufgestellt, kann QR-Codes zu personalisierten Websites aufdrucken, Bilder personalisieren. Dennoch gehört der Druck bei der Ausgestaltung multimedialer Kampagnen nicht zu den ganz großen Budgetfressern. “Wenn man eine mehrstufige Kampagne macht, wird meist nicht mehr um die Druckkosten gefeilscht”, weiß Gitzi um die stabilisierende Wirkung auf die Druckpreise. Man kann bei Betrachtung von Gitzis kleinem Univesum nicht mehr so ganz sicher sein, ob nun Mindworker oder i-Direct Satelliten von Digidruck sind oder Digidruck doch eher schon Satellit der beiden Agentur-Dienstleister.

Verbalen Applaus gibt es für diese Strategie von einem, der seit Jahren wie eine Ein-Mann-Prozession mit einer ganz gut ausformulierten Botschaft durch die Szene wandelt: “Wenn sich eine Druckerei crossmedial aufstellt, ist es sinnvoll, dass kleine Unternehmen neben der Druckerei ausgegründet werden, um diese Transformation zu fördern und dann auch eigenständig zu akquirieren”, sagt Berater Bernd Zipper.

Souverän

Die Degradierung des Gedruckten zu einem Element von vielen in einer Kampagne, die sich alle Medienkanäle unterwirft, ist zuerst einmal keine schöne Nachricht für Druckereimanager; hat aber auch positive Effekte: wer Kampagnen technisch über viele Medienkanäle hinweg umsetzen kann, gewinnt ein Stück weit mehr Souveränität gegenüber dem Kunden. Christoph Muhr, der Crossmedia-Manager von Stieber Druck, meint: “Für uns sind diese Dienstleistungen auch ein Instrument gegen die Fluktuation der Kundschaft. Wenn wir nicht nur drucken, ist die Wechselbereitschaft der Kunden wesentlich geringer”.

Eine ähnliche Beobachtung hat auch Andreas Spannbauer, Geschäftsführer von R12 in Wien gemacht. Früher mal hieß das Unternehmen Reprozwölf, die Umbenennung soll auch signalisieren, dass man “keine reine Reprobude” mehr ist, sagt Spannbauer. Auch Spannbauer segelt durch die verschiedenen Medienkanäle: “Wenn ich als Dienstleister nicht auf den Druck beschränkt bin, habe ich viel eher die Möglichkeit, bei der Gestaltung und dem Aufbau einer Kampagne einzugreifen. Wenn der Kunde zu mir kommt, weiß er in der Regel ja noch nicht genau, was er will. Wenn einer bloß drucken will, kann man kaum mehr auf die einzelnen Elemente einwirken.” Auflage oder Ausstattung stehen eben bei klassischen Druckproduktionen oft schon fest, bevor der Verkäufer mit dem Musterkoffer kommt.

Insgesamt wirkt sich die Vielschichtigkeit der Dienstleistungen auch Spannbauers Erfahrung nach stabilisierend auf den Preis aus: “Der reine Druckmarkt ist ja von Preiskämpfen geprägt. Sich da zu unterscheiden, ist praktisch unmöglich. Aber der Preisdruck ist bei allen anderen Dienstleistungen vor und nach der eigentlichen Druckproduktion wesentlich geringer”. 

Ähnliches Problem

Irgendwo zwischen Möglichkeit und Notwendigkeit, zwischen Pflicht und Kür dürfte die Wandlung von Druckereien zu Medien-Dienstleistern zu verorten sein. Diese Wandlung braucht vor allem eines: Zeit. “Eine Druckerei muss in der Lage sein, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, und zudem braucht sie verlässliche Kunden, um das eigene Betätigungsfeld auch auf crossmediale Dienstleistungen auszuweiten.”, sagt Christopher Berti, bei Heidelberg für den Vertrieb der Neo7even-Software zuständig. Zeit braucht auch Heidelberg. Und steht vor ähnlichen Herausforderungen wie die Kundschaft: den Vertrieb der Software alleine den Maschinenverkäufern zu überlassen, wäre ein schwerer Systemfehler. Deshalb sucht Heidelberg nun Vertriebspartner, die sich darum kümmern könnten. Die Ziele der Heidelberger sind sportlich gesetzt: "20 Prozent der Neozenzai-Installationen befinden sich heute in Druckereien, 80 Prozent der Installationen bei Agenturen oder in anderen Segmenten. In zwei Jahren soll mindestens die Hälfte der Installationen von Druckereien genutzt werden.", so Berti. Nur, wie gesagt: bei Peter Sommer in Waiblingen müssen die Software-Vertriebler vorerst nicht vorbei schauen.

Martin Schwarz

(4c Printausgabe 2/2014)

leaderboard,skyscraper,rectangle_cad_300_250,banner_468,rectangle_300_250,rectangle_300_100