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Hoffnungsmarkt China

01.03.2014 21:22

Wiesloch am Pazifik

Heidelberg ist der einzige deutsche Druckmaschinenbauer, der einige Baureihen in einem eigenen Werk in China produzieren lässt. Ein Rundgang durch die Produktionshallen macht deutlich, wie grundverschieden die Märkte China und Deutschland ticken.

Fabrikschef Achim Mergenthaler, Manager Benny Huang: „Hier kann der Drucker sich keine individuelle Maschine zusammen stellen. Was wir in Qingpu herstellen, sind standardisierte Maschinen.“ © Beigestellt Heidelberg-Fabrik in Qingpu bei Shanghai: Maschinen auf Vorrat. © Beigestellt

Eisiger Wind bläst durch die kurze Werksstraße, die das 45.000 Quadratmeter große Fabrikgelände des Druckmaschinenbauers Heidelberg in zwei Hälften teilt. In der Nacht zuvor war es empfindlich kühl geworden in Qingpu, einem Stadtteil im Westen Shanghais. Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt ist man im Südosten Chinas auch Ende November eigentlich nicht gewohnt.

Heute musste Achim Mergenthaler sich in jene Kluft werfen, die Manager von Heidelberg zwischen Shanghai und Waldorf-Wiesloch eben sofort als Manager von Heidelberg kenntlich macht, für einen solchen Temperatursturz allerdings denkbar ungeeignet ist: dunkler Anzug, weißes Hemd, rote Krawatte.

Mergenthaler, Chef des Werkes in Qingpu, wird an diesem Tag weniger managen und mehr repräsentieren. Ein Filmteam aus Deutschland ist angereist, um für das Unternehmen ein Video zu drehen. Es wird später an Vertriebsmitarbeiter in ganz Asien verteilt. Die Vertriebsteams sollen ihren Kunden per Bewegtbild zeigen können, wie an Chinas Pazifikküste nach den Qualitätskriterien vom Neckar-Ufer an deutscher Technologie gearbeitet wird.

Später, nach Fotoshooting und Dreharbeiten für das unternehmensinterne Video, wird Mergenthaler wieder über das Fabriksgelände laufen und Kundschaft aus Hongkong das Werk zeigen. Solche Termine kommen häufig vor. Glücklicherweise. „Die Fabrik hier wird immer wichtiger als Showroom. Wenn ein Drucker uns hier besucht, ist fast sicher, dass er mit einem Kaufvertrag wieder geht.“, sagt Mergenthaler.

Das technologische Schisma

Was als wuchtig ausgebautes Vertrauen in die eigenen Produkte aus dieser Wortspende hervor bricht, ist auch eine Deutung des chinesischen Druckmarktes: Der ist immer noch geprägt von einem technologischen Schisma, das bislang scharf trennt zwischen Druckdienstleistern, die in ihren Produktionshallen unverdrossen einheimische Aggregate laufen lassen und solchen, die sich ohnehin nur für westliche oder japanische Maschinen entscheiden würden. Drucker, die das Werk in Qingpu besuchen, haben in diesem Denkmuster eigentlich schon entschieden. Sie wollen eine deutsche Maschine, eine von Koenig & Bauer, eine von Manroland oder eben von Heidelberg. Wenn sie erstmal das Werk in Qingpu gesehen haben, das ist Kalkül undein wenig Sekundär-Legitimation für die Investitionen hier, wird die Entscheidung weiter eingeengt. „Wir haben in unserem Marktsegment keine chinesischen Konkurrenten. Unsere direkte Konkurrenz sind die japanischen oder die westlichen Anbieter“, erzählt Mergenthaler.

Rund 4.000 Druckwerke hat Heidelberg seit Beginn der Produktion hier verkauft, fertigt drei Baureihen: die SM 52, die SM 74 und die CD 102. Man merkt: Die kleine Armada der Druckmaschinen aus Qingpu kommt ohne echte technologische Flaggschiffe nach deutschen Marktmaßstäben aus, ohne das XL in der Typenbezeichnung, auch ohne großen Variantenreichtum bei den einzelnen Baureihen. Achim Mergenthaler dünkt das nicht: „Es gibt im chinesischen Markt sicherlich einen höheren Bedarf an standardisierten Produkten als in Europa. Ich glaube, dass wir mit den Maschinen, die wir hier herstellen, etwa die Hälfte des hiesigen Bogenoffset-Marktes adressieren können.“

Gassenverkauf

An einem großen Rolltor in einer der Hallen bleibt Mergenthaler stehen, zeigt darauf und meint schmunzelnd: „Das ist mein Nullfehler-Tor.“ Durch dieses Tor verlassen die Druckmaschinen das Werk und das meist unmittelbar nach der Bestellung. Gebaut ist die Maschine schon vor der Auftragserstellung worden; anders als im Stammwerk Walldorf-Wiesloch. Da muss zuerst der Kaufvertrag unterschrieben sein, bevor eine Maschine montiert wird. Vier, fünf Maschinen jeder Baureihe hält Heidelberg in Qingpu immer auf Lager. Der Kunde, so sagt man hier, will es so: „Der chinesische Drucker will seine Maschine sofort. Zu lange Lieferzeiten stoßen bei standardisierten Produkten auf wenig Akzeptanz. In unserem Werk kann er die Maschine am Tag nach der Bestellung haben.“, sagt Mergenthaler. Gustieren, Tüfteln und individuelle Konfiguration gehört allerdings nicht zum Angebot, das Heidelberg in Qingpu chinesischen Druckerei-Managern machen kann: „Hier kann der Drucker sich keine individuelle Maschine zusammen stellen. Was wir in Qingpu herstellen, sind standardisierte Maschinen.“

Produkt-Balance

Das leuchtet das Marktverständnis des deutschen Maschinenbauers aus: In China, so jedenfalls die These, hat die unausweichliche Phase, in der es Druckereien notwendig haben werden, sich zu unterscheiden oder zu spezialisieren, noch nicht richtig begonnen. Benny Huang, Chef der Shanghaier Niederlassung von Heidelberg, beschreibt die Motivlage chinesischer Druckereien so: “Wenn jemand als Drucker hier ein gutes Geschäftsmodell gefunden hat, dann versuchen andere, es sofort zu kopieren. Die wollen dann eine Druckerei aufbauen, die genau so arbeitet wie das Vorbild. Darin sind die chinesischen Drucker sehr gut.” Noch hat der chinesische Markt genügend Fassungsvermögen für diese ökonomischen Kopierleistungen. Doch der chinesische Markt ist weitaus elastischer als der europäische, das Bild von den wenig automatisierten, von günstigen Arbeitskräften abhängigen Druckereien verliert langsam an Kontrastkraft: “In China verändert sich alles viel schneller als in Europa, auch im Druckmarkt. Darauf müssen wir hier reagieren und dafür sorgen, dass das Delta zwischen Marktverschiebung und Produktportfolio nicht zu groß ist.” Wie diese Reaktion Heidelbergs auf solche Entwicklungen strukturiert ist, erklärt Produktionsvorstand Stephan Plenz gegenüber 4c so: “Wenn wir Veränderungen des Marktes registrieren, steuern wir das zuerst einmal über die Produktionsmenge und dann erst über die Baureihen, die wir dort fertigen.”

Bild für Bild

Regeln und Normen, Wiederholung und Präzision – es sind die Synonyme für Standardisierung, die auch die Arbeitsabläufe der etwa 400 Mitarbeiter in Qingpu bestimmen. Am besten sichtbar wird das bei den dicken grauen Ringbuchmapen, die an jeder Montagestation liegen. Darin wird jeder einzelne Arbeitsschritt an der jeweiligen Montagestation erklärt. In Bildern. “Die immer wiederkehrenden Arbeitsschritte sind darin abgebildet. In acht bis zwölf Wochen merkt sich das ein Mitarbeiter. So etwas funktioniert hier besser als klassische Handbücher, die nur aus Text bestehen.”, sagt Mergenthaler.

Zweierlei Teile

Der Dreiklang der Argumente für Maschinen aus Qingpu tönt ungefähr so: deutsche Ingenieurskunst, deutsche Präzision, lokale Produktion - und daher auch schnelle Lieferzeiten. Um das den chinesischen Druckern auch verkaufen zu können, hat Heidelberg hier eine zweistufige Qualitätskontrolle für alle Teile aufgezogen. In einem vom Rest der Fabrik abgetrennten Raum sind Dutzende Menschen ausschließlich damit beschäftigt, die Qualität der gelieferten Teile zu prüfen. “Die Teile, die von chinesischen Lieferanten kommen, werden nochmals gesondert beim Wareneingang durch die Qualitätsabteilung geprüft. Die kritischen Teile, etwa Zanräder, beziehen wir aber direkt aus Deutschland”, erklärt Mergenthaler. Je komplexer die Maschine, desto höher ist der Anteil chinesischer Teile. Bei den Falzmaschinen, die Heidelberg hier ebenfalls produziert, bezieht das Unternehmen rund 80 Prozent der Teile aus China. Bei den Druckmaschinen ist es etwa die Hälfte. “Aber natürlich sind wir daran interessiert, den Anteil der lokal eingekauften Teile zu erhöhen”, erklärt Vorstand Plenz. Nicht ausschließlich technologische Gründe sind es, die Heidelberg sehr vorsichtig agieren lassen bei der Ausweitung des lokalen Einkaufs. “Die Steuerung oder die Zahnräder und Teile, die wegen des Schutzes des geistigen Eigentums kritisch sind, werden weiterhin in Deutschland hergestellt.”, sagt Plenz. Um fernöstliche Kopierfreuden zu bremsen, kann das Werk in Qingpu außerdem im IT-System von Heidelberg nur auf die Produktionsdaten jener Maschinen zugreifen, die dort auch gefertigt werden.

Sehenswürdigkeiten

Mittlerweile sind die Kunden aus Hongkong angekommen, Achim Mergenthaler muss sich beeilen. Und die Fabrik wieder mal ihren Sekundärnutzen als Showroom erfüllen.

Die Tourismusbehörde von Qingpu hat in den örtlichen Hotels vor kurzem prachtvolle Bildbände über Sehenswürdigkeiten und Liebreiz der Gegend ausgelegt. Man muss als Besucher Qingpus vor der kreativen Leistung kapitulieren: es sind verdammt viele Seiten bedrucktes Papier für verdammt wenig Liebreiz. Aber immerhin: auf vier Hochglanzseiten zeigt das Buch chinesische Drucker, die an Heidelberg-Maschinen arbeiten. 

Martin Schwarz, Shanghai

(4c Printausgabe 1/2014)

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